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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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wegen! Jetzt sind schon beinahe zwei Jahre vergangen, und immer noch ist kein Ende in Sicht. Und auch die Todesfälle nehmen kein Ende … Mein Cousin Manfredi ist gleich nach Ignazio gestorben, als ob der ihn gerufen hätte. Und vor zweiMonaten ist auch Alberto an der Front von … ich weiß nicht mehr, wo, verschollen. Und so sind alle Häuser geschlossen. Die Türen, an denen Trauer hängt, sehen so trostlos aus. Und dann ist das Unglück mit der armen Alessandra passiert, das war die Verlobte von Ignazio.«
    Sie schwieg, und ihr Kopf lag schwer an meinem Hals.
    »Schlaft Ihr?«
    »Nein … Wieso fragst du mich nicht nach Alessandra?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Es stimmt genau, was Maman sagt. Du bist für das Kloster geboren. Du bist überhaupt nicht neugierig. Ich hingegen bin immer neugierig. Ist das eine Sünde?«
    »Warum sollte das eine Sünde sein? Kommt, seid nicht traurig. Um Euch zu zeigen, daß es keine Sünde ist, gebe ich zu …«
    »Du kannst mich ruhig duzen.«
    »Ich gebe zu, daß ich neugierig bin, was es mit dieser Alessandra auf sich hat. Also?«
    »Aber du fragst ohne Interesse! Du mußt richtig fragen! Sonst denke ich, daß es doch eine Sünde ist.«
    »Erzählt mir doch bitte … Was war das für ein Unglück, das dieser Alessandra zugestoßen ist?«
    »Du sollst mich doch duzen.«
    »Na gut, also los, erzähl schon.«
    »Sie hat sich umgebracht, als sie erfahren hat, daß Ignazio gelähmt ist.«
    »O mein Gott! Und wie hat sie sich umgebracht? Gott vergebe ihr! Das ist nun wirklich eine Sünde.«
    »Das hat man nie erfahren. Es ist ein Geheimnis. Die einen sagen, daß sie nichts mehr gegessen hat und an Hunger gestorben ist, andere wieder, daß sie sich vergiftet hat, wieder andere, daß …«
    »Was?«
    »Es ist schrecklich, aber einige sagen, und das scheint auch wirklich die Wahrheit zu sein, daß sie sich im Bad an einem Strick erhängt hat, richtig an einem Strick.«
    Während sie das sagte, drückte sie sich an mich und verbarg ihr Gesicht an meinem Hals. War das eine Umarmung? War es möglich, daß auch sie diese Schauer spürte? Mit Madre Leonora hatte ich es genauso gemacht. Also war sie kein Feigling gewesen, sondern hatte sich so verhalten, weil ich damals noch klein war. Jetzt war ich Madre Leonora und mußte so vorsichtig sein wie sie. Aber wie sollte ich diese kleine Hand aufhalten, die sich so harmlos an meinen Busen klammerte, genauer gesagt, an die Binden, die meinen Busen hielten?
    »Was hast du denn unter dem Kittel, Modesta? Das fühlt sich ja an wie eine Rüstung. Laß mich mal sehen …«
    »Nicht, junge Fürstin, das ist verboten. Das sind die Binden, die alle Novizinnen tragen.«
    »Ach so. Und warum? Du antwortest mir nicht? … Ich verstehe. Ich spüre, daß du einen größeren Busen hast als ich. Das ist aus Züchtigkeit, damit man ihn nicht sieht.«
    »Genau. Nein, laß das. Man darf sie nicht lösen, Beatrice, und außerdem kitzelt es mich.«
    »Merkwürdig, mich kitzelt das nicht. Glaubst du mir nicht? Leg deine Hand mal hierhin. Siehst du, mich kitzelt das nicht. Mir wird nur warm davon. Als ich klein war, habe ich immer die Hand an den Busen der Tata gelegt, um einzuschlafen … Ich bin müde! Läßt du mich die Hand dorthin legen?«
    Es hatte keinen Zweck, sie davon abhalten zu wollen. Mit ihrer flinken, kleinen Hand hatte sie einen Wegdurch die Binden gefunden, auch weil ich mich nicht mehr so eng einschnürte wie im Kloster, und sie hielt jetzt eine meiner Brüste in der Hand. So hochgehoben, erinnerte sie mich an die abgerissenen Brüste der heiligen Agate. Ich schloß die Augen, um diese Finger nicht zu sehen, die jetzt mit meiner Brustwarze spielten und mich in einen langen Schauer gleiten ließen …
    Arme Madre Leonora, was hatte sie nicht alles aushalten müssen! Unbeweglich wie sie damals kam ich qualvoll zum Höhepunkt. Daß die Kleine nur um Himmels willen nichts davon merkte, daß sie bloß nichts merkte! … An meinen Busen geklammert, schlief sie ein. Durch die großen Fenster schaute mißtrauisch der Mond herein, und unter seinem boshaften Blick schimmerten ihre Haare blau. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Es hatte mich so viel Anstrengung gekostet, sie nicht zu streicheln, daß ich mich so müde fühlte wie damals, als ich den ganzen Tag auf der Suche nach Tuzzu durch das Röhricht lief. Tuzzu schaute mich unter dem Blick des Mondes an, aus den Wunden seiner Augen blutete blau das Meer …
    »Auch wenn du nichts wiegst, Picciridda, du

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