Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
lachen. Sie ist schön, nicht wahr? Sie ähnelt Ignazio, nicht wahr?«
»Ja, und auch Madre Leonora.«
»Du willst so wie sie Nonne werden, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und wann hast du die Berufung erhalten?«
»Im Kloster.«
»Aber was ist die Berufung? Was empfindet man dabei, wie fühlt sich das an?«
Da ich das selbst auch nicht wußte, antwortete ich mit Madre Leonoras Worten:
»Es ist wie Vogelgesang.«
»Genau das hat sie auch gesagt, hat mir Maman erzählt, ich habe sie ja kaum gekannt. Maman sagt auch, daß die Berufung für Tante Leonora ein Unglück gewesen ist, denn sie war reich und hätte eine gute Partie machen können. Aber bei dir ist das ja etwas anderes. Es ist besser, daß du diese Berufung hast, denn mit der kleinen Pension und der Aussteuer von Madre Leonora geht es dir im Kloster besser, als wenn du mit irgendeinem Diener oder, was weiß ich, einem kleinen Angestellten verheiratet wärst. Mit deinem Verstand und unserer Unterstützung, sagt sie, kannst du sogar Mutter Oberin werden.«
Quecksilber hatte recht: Ihre Fürstin war wirklich scharfsinnig.
»Und deshalb soll ich dich nicht von deiner Berufung abbringen, hat sie gesagt. Auch wenn es mir leid tut, weil das bedeutet, daß du in drei Monaten fortgehst, und ich bin so gern mit dir zusammen. Das habe ich ihr auch gesagt, weißt du. Aber sie hat mir geantwortet, daß ich dich in Ruhe lassen soll und daß ich launisch sei. Das stimmt auch ein wenig, aber es ist trotzdem schade, denn wenn du nicht diese Berufung hättest, dürftest du immer bei mir bleiben, denn auch ich werde nie heiraten können.«
»Warum? Ihr seid reich.«
»Ja, ja, ich weiß, aber Maman sagt, daß niemand wissen darf, daß eine Brandiforti verkrüppelt ist. Viele haben schon um meine Hand angehalten. Weißt du, alle Brandiforti bis zur Generation meines Großvaters waren bildschön und gesund. Dann ist irgend etwas mit dem Blut passiert. Das erste Anzeichen dafür war diese Engländerin, die nur einen Sohn hatte, meinen Vater … Dann ist das ›Ding‹ geboren worden, das, wie ich dir schon erzählt habe, in dem Zimmer mit den immer geschlossenen Fenstern haust. Niemand hat ihn je gesehen, nicht einmal ich. Natürlich war Ignazio schön und stark, aber Maman sagt, daß auch in seinem Gehirn etwas nicht stimmte. Vielleicht ist er deshalb gestorben. Und so sagt Maman, daß unsere Familie wie ein Fluß versiegen wird, den der Berg nicht länger nähren will. Wir sind aus Catania. Dort spendet der Ätna mit dem Schnee das Leben und bringt mit der Lava den Tod. Maman sagt, daß sie sich daran erinnert, wie viele andere fruchtbare Ländereien und Familien sie hat austrocknen und eingehen sehen nach dem Willen Gottes und des Berges.«
26
»Guten Morgen, mein Fräulein. Habt Ihr gut geschlafen? Die junge Fürstin ist heute morgen wie eine Blume erwacht, wie eine Blume! Sie läßt Euch ausrichten, daß nach dem breakfast der Musiklehrer kommt. Wenn Ihr wüßtet, wie begeistert sie davon ist, zusammen mit Euch Unterricht zu nehmen! Ja, seit Ihr hier seid, ist die junge Fürstin wieder aufgeblüht! Aufgeblüht, man kann es nicht anders sagen! … Und habt Ihr Euch wegen des Spiegels entschieden? Sie hat auch wegen des Spiegels mit mir gesprochen.«
»Nein, keine Spiegel.«
»Gut. Die Fürstin wird zufrieden sein, aber der jungen Fürstin wird es leid tun. Sie ist schon ganz verzweifelt, daß Ihr nicht auch zum Tanzunterricht mitkommen könnt. So was! Keine Spiegel, kein Tanzunterricht. Tanzen ziemt sich nicht für eine Nonne. Die Fürstin sagt, daß das besser so ist.«
Also war es gut gewesen, vorsichtig zu sein. Einen Diener heiraten! Dann doch lieber Nonne. So werden wie die da! Jetzt, da ich Bescheid wußte, entlarvte ich ihre Fröhlichkeit als rasenden Neid, den sie hinter demütigen Worten und Albernheiten verstecken mußte. Die plumpen Hände, das künstliche, mit zwei Nadeln an die Mundwinkel geheftete Lächeln, in diese schreckliche Schürze gezwängt … bloß nicht! Da würde sie sich lieber an ihre Berufung halten. Wenigstens könnte sie sich dann weiter mit Geschichte und Mathematik befassen und Klavier spielen … Klavier! Beatrice hatte gesagt, daß ihr Lehrer einmal ein großer russischer Konzertpianist gewesen sei. Und wenn sie sagte, daß er sehr gut war, dann stimmte das sicher. Auch der Hauslehrer war so gebildet, daß MadreLeonora im Vergleich zu ihm wie ein Dummkopf erschien. Die Philosophie … die könnte sie im Kloster vielleicht nicht weiter
Weitere Kostenlose Bücher