Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Wie machst du das nur? Ich wäre so gern wie du! Was für schöne Haare! Darf ich sie kämmen?«
»Aber wer ist denn nun dein Vater, oder weißt du das nicht?«
»Irgendwann zeige ich ihn dir.«
»Hast du eine Fotografie?«
»Die brauche ich nicht.«
»Also ist es jemand, der hier im Haus wohnt.«
»Kalt, kalt … Nicht ganz, er kommt manchmal … Hast du ihn noch nicht bemerkt?«
Vor meinem inneren Auge ging ich sie rasch einen nach dem anderen durch: der Priester, zu alt … der Hauslehrer, der russische Konzertpianist, nein, zu alt … Diesesmagere Männlein, das kam, um »das Ding« zu untersuchen?
»Der Arzt, Beatrice, ist es der Arzt?«
»Kalt, kalt …«
»Der Notar, der neulich abend da war?«
»Kalt, kalt.«
»Dieser Mann, der ab und zu kommt?«
»Heiß, heiß … heiß …«
»Aber nein! Dann ist es …«
»Erraten! Komm, steh auf, er steigt gerade die Freitreppe hoch … Ich flüchte immer, wenn er kommt.«
Hinter den Scheiben verfolgten wir eng aneinandergedrängt die langsamen Schritte eines großen, starken Mannes … Als hätte er unsere Blicke gespürt, hob er den Kopf voller weißer Locken und schaute in unsere Richtung. Zwei blaue Augen ruhten einen Moment lang auf uns. In diesem düsteren Blau blitzten goldene Sprenkel. Er war in Samt gekleidet wie Mimmo, nur daß dieser Samt nicht braun, sondern so tiefblau war, daß er beinahe schwarz wirkte.
»Aber wer ist das? Der Gärtner?«
»Nein, der Verwalter. Siehst du nicht, daß er eine Flinte trägt?«
Aber natürlich! Dieser Mann kleidete und bewegte sich wie Mimmo, trug jedoch an einem Schulterriemen eine Flinte. Zweifel befielen mich. Beatrice war launisch, das hatte die Fürstin gesagt, launisch und wankelmütig. Ob sie mich zum Narren hielt, wie sie es oft mit Quecksilber und den anderen Frauen machte? Ich durfte nicht vergessen, daß sie die Herrin war und daß mich nur der »geweihte Schleier« davor bewahrte, in diesem Hause Dienerin zu sein.
»Das kann nicht sein, Beatrice. Und auch wenn es sowäre, dürftest du davon gar nichts wissen. Über solche Angelegenheiten erfährt man doch nie etwas.«
Sie reißt sich von mir los, wirft sich aufs Bett und schreit und weint jetzt, während sie mit den Fäusten wie wild um sich schlägt.
»Du nennst mich eine Lügnerin! Um deine Madre Leonora zu retten, nennst du mich eine Lügnerin! Sie war ein Feigling! So wie du! Sie hat mich hier allein gelassen, hier inmitten all dieser Verrückten! Wenn ich nicht die Tata und dann Ignazio gehabt hätte, wäre ich gestorben. Vor Einsamkeit gestorben, vor allen versteckt. Sie haben mich immer versteckt gehalten, was denkst du denn? Ich habe dir doch schon von all diesen Leuten erzählt, die hierher und auch nach Catania gekommen sind … aber ich habe sie immer nur aus der Ferne gesehen oder von hinter der Tür. Geh nur, wie diese feige Person, die mich verlassen hat!«
Sie wirkte ehrlich. Was sollte ich tun? Ich mußte sie zum Schweigen bringen. Weniger um ihretwillen, denn etwas in meinem Inneren sagte mir, daß ihr diese Tränen guttaten, daß sie so ihrem Herzen Luft machen konnte, um dann wieder ruhig und fröhlich zu sein. Aber was, wenn Quecksilber sie hörte? Und um sie zum Schweigen zu bringen, blieb mir nichts, als sie zu umarmen.
»Du hast recht, Beatrice, es war feige von mir, dir nicht zu glauben, aber du mußt verstehen …«
Sie lächelte unter Tränen, die ihr über Kinn und Hals rannen. Diese Tränen riefen danach, getrocknet zu werden – das wußte ich inzwischen –, und ich nahm sie in den Arm und streichelte ihr die Wangen, das Kinn und den Hals.
»So hat mich auch Ignazio immer getröstet, wenn ich geweint habe. Er hat mich seinen Privatbrunnen genannt.Einmal hat er zu mir gesagt: ›Ich habe Durst, darf ich all diese Tränen trinken?‹ Hast du keinen Durst?«
Ich hatte großen Durst und saugte mit den Lippen diese Tränen auf, von denen ich nicht gewußt hatte, wie salzig sie waren.
»Wie salzig sie sind!«
»Wußtest du das nicht?«
»Nein.«
»Wie, hast du noch nie geweint?«
»Doch, aber …«
»Hast du sie nie probiert, wenn du geweint hast? Wie seltsam, das habe ich von Anfang an getan … solange ich denken kann. Und dann habe ich entdeckt, daß sie so schmecken wie das Meer, weniger salzig, aber der Geschmack ist derselbe.«
»Hast du schon einmal das Meer gesehen?«
»Natürlich! Du etwa nicht? Aber das ist ja unglaublich! Das ist nicht möglich!«
»Jetzt nennst du mich eine Lügnerin. Paß auf,
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