Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Fürsten.«
»Sein Zimmer jagt mir auch Angst ein. Vielleicht ist es häßlich, so über einen Toten zu reden, aber vor dir kann ich nichts verbergen. Tatsache ist, daß ich … ich erinnere mich nicht mehr daran, wann das war, … ach ja, als erwollte, daß ich jeden Nachmittag zu ihm komme, um ihm vorzulesen und mich mit Astronomie zu beschäftigen. Da muß ich zehn Jahre alt gewesen sein. Natürlich bin ich nicht so gescheit wie Maman oder du. Auch der Hauslehrer – hast du gemerkt, daß er sich jetzt immer an dich wendet, wenn er etwas erklärt? Also, ja … ich habe die Astronomie nicht verstanden, und er ist immer wütend geworden. Und so habe ich schon angefangen zu zittern, wenn ich das Zimmer betrat … Siehst du, es reicht, daß ich davon erzähle, und mir zittern die Hände. Ich weiß nicht, was mit mir los war. Ignazio hat immer gesagt, daß ich gut lese, aber beim Großvater habe ich mich immer verhaspelt.«
»Hast du Großvater gesagt? Aber der Fürst war doch dein Vater?«
»Ja, ja, ich habe mich vertan, verhaspelt, so wie bei ihm damals … ich, ich …«
Als wäre sie durch das Zittern kleiner geworden, schmiegte sie sich in meine Arme. Wie machte sie das nur, von weitem so groß zu wirken und in meinen Armen so klein? Und wie machte sie es, so schnell vom Lachen zum Weinen zu wechseln, daß einem schwindelig wurde?
»Darf ich fragen, wie alt du bist, Beatrice?«
»Du hast es verstanden, nicht wahr, Modesta? Du verstehst und siehst alles.«
»Nein, ich habe gar nichts verstanden. Im Gegenteil, bei all diesen Namen, Onkeln, Tanten und Großeltern, beginnt mir der Kopf zu schwirren. Entschuldige, daß ich dir so viele Fragen stelle, es ist nur, daß …«
»Aber ich mag es, wenn du mir Fragen stellst! Dann wirkst du weniger wie eine Nonne … Oh, entschuldige! Ich wollte sagen, weniger ernst und mir näher. Ist dein Haar sehr voll? Du trägst es so streng zurückgekämmt,daß man das nicht erkennen kann. Darf ich diesen Knoten lösen, der genau wie der der Tata ist … Nur einmal!«
»Aber ja, wenn es dir Spaß macht. Ich sehe, daß du wieder lächeln kannst.«
»Komm hierher ans Fenster. Mein Gott, was für eine Menge Haarnadeln! So machst du dir die Haare kaputt. Es ist nicht gut, sie so fest zu stecken.«
»Dort, wo ich hingehe, brauche ich sie nicht. Nach dem Noviziat schneiden sie sie mir sowieso ab.«
»Sag so etwas nicht! Sag das nicht! Ich darf gar nicht daran denken … Noch zwei Monate, und … Weißt du, daß wir uns schon einen Monat lang kennen? Geh nicht fort! Geh nicht!«
Jetzt weinte sie in der hintersten Ecke des Zimmers. Das war ihre Art, mich fernzuhalten. Aber inzwischen wußte ich, wie ich sie zurückholen und ihr ein Lächeln entlocken konnte. Es reichte, sie mit etwas Neuem abzulenken. Und so löste ich alle Haarnadeln, bis mir die schweren Zöpfe auf die Schultern fielen – wie lange schon hatte ich nicht mehr diesen lebendigen Druck gespürt, das gleiche Gewicht, wie damals, als ich nach Tuzzu gesucht habe …
»Wenn du nicht ruhig bist, schneide ich dir die Zöpfe ab und verkaufe sie im Dorf. Schön fest und schwer sind die. Bei Gott, wenn ich es bloß geschickt anstelle, mache ich ein gutes Geschäft.«
»Sind sie denn so viel wert?«
»Aber natürlich!«
»Und was machen sie damit?«
»Perücken für alte Weiber.«
»Und was sind Perücken?«
»Puh, immer diese Fragen. Ich habe keine Zeit undkeine Lust mehr, zu antworten. Sei ruhig, ich muß arbeiten!«
»Ruhig, Beatrice, ruhig! Schau nur, was für eine Überraschung. Nimm mal die Haarnadeln, schau nur!«
»Wie dick sie sind! Mit einem von dir kann man mir und zwei anderen Mädchen Zöpfe flechten … Aber was ist denn? Du hast ja Tränen in den Augen. O mein Gott, ich habe dich noch nie weinen sehen. O mein Gott! Wer soll das nur Maman sagen? Hast du deine Berufung verloren?«
»Nein, ich habe sie nicht verloren. Madre Leonora hat sie mir geschenkt und …«
»Also weinst du, weil es dir, auch wenn du die Berufung nicht verloren hast, leid tut, mich zu verlassen. Sag schon, es tut dir leid?«
»Ja, es tut mir leid.«
»Das tröstet mich. Ich hatte Angst, weil alle immer sagen, daß ihr im Kloster nur Gott liebt, das hat auch Tante Leonora gesagt … Seltsam, mit diesen Zöpfen siehst du viel jünger aus. Wie alt bist du eigentlich?«
»Ich bin am ersten Januar 1900 geboren. Das hat mir der Klosterverwalter gesagt. Er hat immer gesagt, daß man bei mir nicht lange rechnen muß.«
»Also bist du
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