Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
sonst fange ich auch noch an zu weinen!«
»Dann wein doch! So kann ich auch trinken. Aber wie kommt es, daß du noch nie das Meer gesehen hast?«
»Ich bin in den Bergen geboren, aber es gab jemanden, der mir immer davon erzählt hat.«
»Dein Bruder?«
»Beinahe.«
»Du erzählst nie von dir.«
»Das ist verboten.«
»Lügnerin!«
»Paß auf, sonst fange ich an zu schreien und zu weinen.«
»Genau das will ich ja.«
»Und warum?«
»Das habe ich dir doch gesagt, weil ich Durst habe und außerdem müde bin. Darf ich meine Hand an deine Brust legen?«
Sie wartete keine Antwort ab, sondern machte schnell meinen Kittel auf und gab sich, als sie die Binden löste, diesmal nicht damit zufrieden, mir die Hand an den Busen zu legen, sondern zog ihn ganz heraus. Ich schloß die Augen, um die Qual besser zu ertragen, bis ich dachte, sie sei eingeschlafen, weil ich nichts mehr hörte, und sie ansah. Sie schlief nicht. Mit großen Augen betrachtete sie meine Brust.
»Wie groß und fest sie ist! Und noch schöner als die der Tata, und auch die Brustwarze … ist hell. Die von der Tata war schwarz. Gibst du mir von deiner Milch?«
Ohne mir Zeit für eine Antwort zu lassen, fing sie mit den Lippen an zu saugen, so als würde sie wirklich trinken.
»Jetzt habe ich keinen Durst mehr. Du bist dran.«
Mit sicheren Bewegungen zog sie ihre Brust hervor und zwang mich mit unerwartet starker Hand, so an ihrer Brustwarze zu saugen, wie sie es bei mir getan hatte.
»Ja, genau so, trink nur. Du mußt die Augen schließen, das löscht den Durst besser.«
28
Ich kniff die Augen zu und erstarrte vor Bestürzung.
»Nun saug schon, sei eine brave Picciridda. Wenn du nicht trinkst, dann wirst du nicht groß und stark, sondern verkümmerst, und dann kommt der dürre Sensenmann, um deine Knochen einzusammeln. Trink, meine Picciridda, damit du groß und stark wirst … Ruhig, ruhig, meine Picciridda.«
Doch ich konnte mich nicht entspannen. Starr und unbeholfen sah ich sie so mit meinem Busen, meinen Haaren und meinen Ohren spielen. Wie war das möglich?
»Du bist ja ganz kalt und verschwitzt, Modesta. Jetzt trockne ich dich ab. Es liegt doch nicht etwa daran, daß du denkst, das sei eine Sünde? Was ist denn schon dabei? Wir sind doch beide Frauen, da kann man nicht schwanger werden.«
Über diesen Einfall mußte ich laut lachen … Tuzzu hatte auch gelacht, als … »Diese Picciridda hat schon wieder einen Einfall gehabt – typisch für die freche Göre!«
Ich glaubte zu lachen, aber statt dessen merkte ich zu meiner Überraschung, daß ich an ihrer Brust weinte. Jetzt war sie groß, und ihre Arme beschützten mich.
»Wie, du weinst? Nicht weinen. Es ist keine Sünde, das kannst du mir glauben. Komm, damit ich all diese schönen salzigen Tränen trinken kann.«
Ich ließ mich gehen. Ich fror.
Aber langsam löste sich das Eis der Verwunderung unter ihren Zärtlichkeiten, und eine nie gekannte Wärme ließ mich sagen:
»Nein Beatrice, es ist keine Sünde.«
So liebte ich das erste Mal im Leben und wurde wiedergeliebt, wie es in den Romanen heißt. Das ist so selten, daß ich mich noch heute an das Gefühl der Leichtigkeit erinnere, mit dem ich morgens die Augen öffnete, des neuen Abenteuers gewiß, das aus unserer Umarmung erwachsen würde. Zusammen liefen wir durch die Zimmer, den Garten und die Palmenallee … Der Unterricht und der Fünf-Uhr-Tee waren die einzigen Unterbrechungen unserer Zweisamkeit. Aber diese Pausen waren leicht zu ertragen, denn immer versicherte uns entweder ein Blickoder eine Berührung unter dem Tisch oder ihre Schulter, die mich beim Klavierspiel streifte, daß wir bald wieder zusammen sein würden.
»Spielen wir Tata und Kind?«
»Ja.«
»Diesmal bist du die Tata und ich das Kind.«
»Bist du lieber Tata oder Kind?«
»Das ist mir egal, solange ich in deiner Nähe sein und dich umarmen kann.«
»Mir auch …«
Indem ich mich ihr hingab, entkam ich dieser Hölle aus Zweifeln, Binden und Lavamauern. Das Kloster entfernte sich, sobald ich ihr in die Augen schaute, es versank hinter mir, und ich sah endlich wieder die Sterne. Vielleicht war die Liebe das Paradies? Ich wußte nicht, was dieses Wort bedeutete: »Die Liebe, die beweget Sonn’ und Stern.«
Sicher, wenn sie mich umarmte, drehte sich alles um mich herum. Es war anders als mit Tuzzu oder Madre Leonora. Eine nie gekannte Zärtlichkeit beruhigte mich zwischen diesen Bäumen, die sich um die Sonne drehten, und sagte mir, daß ich
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