Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
Schutzhütten aus rohem Holz, die flachen Dächer mit Laub bedeckt.
Kaum, dass sie die Lichtung betreten hatten, wurden Rufe laut. Ein Dutzend Gestalten kam aus Richtung der Hütten gelaufen, ein gewaltiger, dicht behaarter Fängge war dabei – bestimmt zwei Köpfe größer als Tanger –, das Haar eines weiteren Albs leuchtete. Am Bachufer, nicht weit von dem Balken, der als Brücke diente, tauchte ein kleiner Kopf auf und schaute aus riesigen, fast tellergroßen Augen zu den Neuankömmlingen herüber. Krempel! Jonas erkannte ihn gleich. Eine seltsame Scheu überfiel ihn. Er war bei den Rebellen angekommen. Krempel , schoss ihm durch den Kopf, ist in Abwesenheit lebenslanger Verbrechen gegen die Wahrscheinlichkeit für schuldig befunden . Wie lange trug er diesen Steckbrief nun schon mit sich herum …
Hufschlag unterbrach ihn. Jonas fuhr herum, so gut das auf Tangers Rücken ging, und sah ein weißes Pferd auf die Lichtung galoppieren. Immer mehr Rebellen kamen ihnen jetzt entgegen, alle in Leder gekleidet und viele bärtig, aber Jonas hatte nur Augen für den prächtigen Schimmel und seinen Reiter. Wie eine Gestalt aus einem Traum kam er ihm vor, und plötzlich sah er sich selbst, mit Tabbi in seinem Zimmer in Wunderlich auf dem Bett sitzend und die größte der Sonneberger Figuren hin und her wendend. Der türkische Reiter war gekommen! Ein Mann im blauen Kaftan, mit einem weißen Turban auf dem Kopf, der ein weißes Pferd mit rotem Zaumzeug führte.
Mit offenem Mund starrte Jonas auf Suleman Mond, der den Schimmel zügelte, aus dem roten Sattel sprang und auf sie zueilte. Suleman Mond war zu stolz, um zu laufen, aber er ging schnell, mit weit ausholenden Schritten. Unter dem hellen Turban war sein Gesicht tief gebräunt, auf seiner Oberlippe wuchs ein tiefschwarzer Bart, so dicht wie eine Bürste.
Es gab keinen Zweifel mehr! Wo immer der Puppenspieler war und warum auch immer Faramunds Abbild fehlte – die Sonneberger Figuren stellten die Sieben dar! Allenfalls mochten Leopold, Grimbert oder Fiet andere Kleider tragen, als man ihren kleinen Abbildern aus Brotteig, Sand und Leim aufgemalt hatte, ein Irrtum aber war ausgeschlossen. Nur – in seiner Verwirrung fasste Jonas nach Tangers Schulter – Claras Bild war vor Jahrzehnten gemalt worden! Damals war sie noch ein Kind gewesen und seitdem war ein ganzes Leben vergangen! Wie konnte Core auf diesem Bild sein, wenn doch die anderen sechs noch immer keine Greise waren? Leopold war fast noch jung, Grimbert ein Mann in den besten Jahren. Etwas, das Lunette gesagt hatte, fiel Jonas ein. Du musst dir vorstellen, hatte der Marquis gesagt, ich war, als wir das Land, das wir heute Kanaria nennen, zum ersten Mal betraten, fast schon ein alter Mann.
»Endlich! Der Junge ist da!«, rief Suleman Mond und seine Stimme zitterte vor Freude.
Ole war stehen geblieben, halb erschreckt, halb erfreut, und sein Onkel fasste ihn fest an beiden Schultern, streng und erleichtert zugleich.
»Du bist heil, Junge. Du bist heil!« Suleman schüttelte Ole und strich ihm dann fast schon grob über das Haar. »Das tust du nie wieder, hörst du? Nie wieder läufst du mir weg!«
Mit einem Ruck befreite sich Ole aus dem Griff seines Onkels und wich einen Schritt zurück. »Der Hirte ist nach Kanaria gezogen«, sagte er und das klang wie ein Vorwurf.
Die Rebellen ringsum ließen ein Murmeln hören. Es mochten jetzt dreißig von ihnen auf der Lichtung stehen.
Suleman Mond erhob sich. Seine niedrige Stirn lag in tiefen Falten.
»Wir müssen angreifen, Onkel. Wir müssen endlich angreifen! Sonst ist es zu spät.« Ole hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er klang schrill. Unverwandt schaute er seinem Onkel ins Gesicht. Verbissen sah er aus.
Suleman wandte sich an Fiet Finger. »Stimmt das, Fiet?«
»Gestern früh sind sie losgezogen. Sie dürften schon da sein.«
»Seid ihr sicher, dass sie angreifen wollen?«
Fiet Finger nickte.
Suleman Mond senkte den Kopf und legte die Hand ans Kinn. In Gedanken versunken tat er einige Schritte. »Wir beraten uns heute Abend«, sagte er schließlich. »Ich muss nachdenken.«
Beinahe verächtlich sah Ole zu ihm hinauf.
In einer der Hütten machte Tanger für Jonas ein Bett. Die Dämmerung brach herein, schon schimmerte der beinahe volle Mond am Himmel und Jonas glühte jetzt wieder. Gegen den Schüttelfrost hüllte er sich fest in die schwere Decke und schlief ein, als stürzte er in ein tiefes Loch. Als er wieder zu sich kam, war sein
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