Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
voraus, und obwohl er so klein war, reichte ihm das Wasser selbst in der Mitte des Flusses nicht weiter als bis zu den Hüften. Ole folgte ihm, der große Monokel als Letzter. Jonas auf seinem Rücken musste nicht einmal die Füße heben. Sie wurden nicht nass. Er hörte Tangers im Wasser rauschende Schritte und roch den Fluss, die Sonne blitzte auf seiner Oberfläche.
Sie erklommen das andere Ufer und liefen durch das hohe Gras. Dann ging es den Kamm hinauf und oben angekommen blieb Fiet für einen Augenblick stehen. Vor ihnen, kammabwärts, erstreckten sich Wälder, so weit das Auge reichte. In tausend Farben Grün schmiegten sich die Bäume dort aneinander, ein Wald ging in den nächsten über, hügelauf und hügelab. Darüber, im weiten Himmel, Vögel, ganz frei, im Flug.
Fiet und Ole standen still beieinander, vom Anblick wie gebannt. Sie schienen einzuatmen, was sie sahen. »Schau«, sagte Fiet Finger schließlich und sah zu Jonas herauf. Zum ersten Mal überhaupt wirkten seine Züge entspannt. »Das«, sagte er mit belegter Stimme, »ist die Ferne.«
Es war warm geworden und sonderbar schön. Der Himmel war blau und beinahe wolkenlos und unter den Bäumen tanzten Flecken aus Licht. Bald raschelte altes Laub unter Tangers Füßen, darüber wuchsen Moos und Gräser, ein Hauch von frischem Grün. Der Wald wurde immer dichter und feierlicher. Glatte Stämme griffen mit den starken Fingern ihrer Wurzeln in die Erde, im Schatten der Laubdächer duftete es und war angenehm kühl.
Jonas lehnte den Kopf an Tangers Rücken, schloss die Augen und lauschte. Zweige knackten, es raschelte im Laub, sanft flüsterte es in den Wipfeln über ihnen. Irgendwo, nicht weit entfernt, rief ein Häher. »Piü! Piü!«
Fiet folgte kaum wahrnehmbaren Hohlwegen. Der Boden war wellig, und wenn Tanger in eine Senke hinabstieg, lag Jonas fast auf seinem Rücken. Oft rannen kleine Bäche durch die Talsohlen, an glatt gewaschenen Felsen vorbei. Wo das Sonnenlicht sich durch das Geflecht der Bäume drängte, glitzerte es auf dem sprudelnden Wasser oder flimmerte für einen Augenblick über dem Pfad.
»Wie schön es hier ist«, sagte Jonas irgendwann und Ole bedankte sich mit einem Lächeln. Er kommt nach Hause, dachte Jonas und lächelte zurück. Für diesen Augenblick waren alle Sorgen weit. Die Ferne verdiente ihren Namen.
Jonas musste eingeschlafen sein, jedenfalls schreckte er auf und schlang die steifen Arme gleich um Tangers Brust. Der Monokel war stehen geblieben, ebenso Ole und Fiet.
»Ole Mond! Unglaublich! Das ist Ole Mond!«
Der helle Ruf kam von oben und Jonas legte den Kopf in den Nacken. Gleich über ihm kam Bewegung in den Wipfel, das Blätterdach rauschte, einzelne Äste schnellten wippend vor und zurück und dann rutschte in halsbrecherischem Tempo ein Alb den starken, glatten Stamm herab. Sein weißes Haar leuchtete, dann stand er schon vor ihnen, mit einem breiten Lachen.
»Hat er dich eingefangen, unser Fiet?« Ohne eine Antwort abzuwarten, schloss der Alb Ole in die Arme, klopfte ihm fröhlich auf den Rücken und gab dann Fiet und Tanger die Hand. Er war ganz in braunes Leder gekleidet und auf dem Rücken trug er einen mannshohen Bogen sowie einen Köcher voller langer Pfeile. Das strahlend helle, schimmernde Haar fiel ihm bis auf die Schultern.
»Walrider«, sagte Fiet feierlich.
Jonas hatte den Namen schon einmal gehört. Ole hatte ihn erwähnt, damals, auf dem Weg zum Steinbruch.
»Walrider ist Truts Sohn«, sagte Ole und seine Augen blitzten.
Die Miene des Albs wurde ernst. »Ihr habt ihn gesehen?«, fragte er.
»Wir waren am Steinbruch«, sagte Ole. »Jonas und ich. Es geht ihm gut.« Er verzog die Mundwinkel. »Einigermaßen.«
Walrider nickte. Dann sah er zu Jonas hoch. Seine Augen leuchteten heller als Kerzen in der Nacht. »Willkommen, Jonas«, sagte er. »Bist du verletzt?«
Jonas’ Mund klebte. Er packte Tanger noch fester.
»Er ist krank«, sagte Fiet. »Er hat gefiebert.«
Der Alb nickte wieder, strich sein Haar zur Seite und rückte Bogen und Köcher zurecht. »Dann kommt«, sagte er knapp. »Suleman wird euch gleich sehen wollen.«
Walrider führte sie noch ein ganzes Stück tiefer in den Wald, bis sie auf eine verborgene Lichtung stießen. Wie ein grasgrüner See lag sie inmitten der dicht gedrängten Bäume, in zwei Hälften geteilt von einem munteren Bach, über den ein Balken gelegt worden war. Am Rande der Lichtung, sorgfältig unter den Bäumen verborgen, standen ein paar
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