Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
gesagt hatte, aber er war sich sicher, dass Suleman von Jonas’ Fieber gesprochen hatte, davon, dass sie alle kein Recht hatten, Jonas, den Fremden, in den Kampf um Kanaria zu verwickeln, und dass einer für Jonas im Lager würde sorgen müssen. Und einer, das hieß Ole, Jonas’ Freund. Vielleicht war das der Moment gewesen, da Ole dort drüben im Schatten der Hütte seinen Widerstand aufgegeben hatte und versteinert war. Dann hatte er sich in der Hütte verkrochen, seine Wunden geleckt und nach einem Ausweg gesucht. Dass er, der kleine Erlöser, wie Lunette gesagt hatte, nach Kanaria musste, daran konnte er keinen Augenblick gezweifelt haben. Aber Ole wollte Jonas eigentlich nicht allein lassen. Wenigstens wollte er nicht das Gefühl haben, Jonas zu verraten.
Jonas betrachtete seinen schwierigen Freund. Wie blass er war! Wie sehr er sich mühte! Die Hände immer in Bewegung, die Stimme stets auf der Kippe, vielleicht, ohne dass Ole es wusste, den Tränen nahe. Ole Mond redete und redete, um nicht schuldig zu werden.
»Ach ja. Wir müssen das Pferd noch versorgen.« Ole fingerte nach seinem Ohrring, wie immer, wenn er nervös war.
»Was?«, fragte Jonas.
»Das Pferd.« Ole war stehen geblieben. »Wir müssen das Pferd noch in den Unterstand bringen. Für die Nacht.«
Jonas sah zum Himmel hoch. Kleine Lichter blitzten dort oben, unendlich fern. »Ach so.« Er verschränkte die Arme. Er war so weit von Ole entfernt wie diese Sterne. Er kannte Ole viel besser als Ole ihn, deshalb. »Mach du das. Ich …« Jonas überlegte kurz und zeigte dann zu der Hütte hinüber, in der sich Ole stundenlang verborgen hatte. »Ich will mich ein bisschen ausruhen.«
Oles Augen weiteten sich. »Du … Dir geht es doch nicht wieder schlechter?«
Jonas versuchte ein Lächeln. Ole fürchtete bloß für sich selbst. Er war sein eigener Gefangener. »Keine Sorge«, sagte Jonas. »Mach du nur. Ich bin in Ordnung.«
Er ließ Ole stehen und lief über das nachtgraue Gras. Als er die Hütte erreichte, hörte er Ole mit dem Schimmel sprechen. Dann ging er hinein und gleich auf das Bündel zu. Er hatte gewusst, dass er es hier finden würde. Es lag neben dem Reisiglager, fein säuberlich verschnürt. Ole hatte schon gepackt.
Bevor Jonas den Kerzenstummel, der auf einem niedrigen Holzklotz klebte, ansteckte, sah er noch einmal hinaus. Ole führte das Pferd zu seinem Unterstand, hell hob sich der Schimmel gegen die Dunkelheit ab. Im flackernden Kerzenlicht suchte Jonas nach dem richtigen Zettel. Alle waren sie speckig geworden, und der Fetzen Papier, den Ruben ihm zuallererst in die Hand gedrückt hatte – Du bist nicht 12! Du bist 13! Egal, wer dich fragt – war hoffnungslos eingerissen und zerknüllt.
»Ich bin zwölf.« Jonas lächelte.
Der Zettel, den er suchte, war einigermaßen in Ordnung, auch wenn man vielleicht wissen musste, was darauf stand, um es noch entziffern zu können. Jonas murmelte den kurzen Satz wie eine Beschwörung.
» Ich beschütze dich .«
Das hatte Ruben geschrieben.
Jonas steckte das Stückchen Papier schnell in Oles Bündel. Der Schimmel war versorgt, wahrscheinlich waren auch Sattel und Zaumzeug bereitgelegt. Ole stapfte schon auf die Hütte zu, wild entschlossen, dachte Jonas, und traurig. Die Kerze flackerte, er sah auf das Bündel, das Ole zu tragen hatte. Jonas konnte ihn nicht halten. Ole war nicht frei.
Das 39. Kapitel,
in welchem Jonas sich selbst begegnet
Jonas konnte nicht schlafen, aber Ole zuliebe rührte er sich nicht. Es würde leicht sein, Ole zu täuschen. Er wartete ja nur darauf, dass Jonas schlief. Er wollte getäuscht werden. Jonas bemühte sich, tief und regelmäßig zu atmen. Draußen rumorte der Wald. Bestimmt waren die Tiere der Nacht jetzt unterwegs.
Nach einer kleinen Ewigkeit setzte Ole sich auf. Es knackte, als er sich von seinem Reisiglager erhob. Alles kam, wie Jonas es erwartet hatte. Ole tastete nach seinem Bündel – hatte er wirklich geglaubt, Jonas würde es übersehen? Dann schlich er zum Ausgang. Dort hielt er inne, kam noch einmal zurück und beugte sich zu Jonas herab. Auf einmal war er ganz nah. Jonas spürte seinen Atem.
»Es tut mir leid«, flüsterte Ole. Seine Stimme war rau. »Aber ich kann nicht anders. Ich muss die Prophezeiung erfüllen.« Er schluckte laut. »Verzeih mir. Irgendwann.«
Rückwärts schlich sich Ole davon, Jonas verfolgte jeden seiner Schritte.
Es ist gut , hätte er am liebsten gesagt. Jetzt geht jeder seinen Weg. Pass auf dich
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