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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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auf!
    Aber wenn er jetzt den Mund aufmachte, würde es für Ole nur noch schwerer werden. Es mochte verrückt klingen, aber Ole würde nur ein noch schlechteres Gewissen haben, wenn er Jonas jetzt in die Augen schauen müsste. Und gehen würde er so oder so. Ole hatte noch nie auf Jonas gehört; er hörte nur auf sich selbst.
    Als Ole verschwunden war, wartete Jonas noch einen Augenblick, dann robbte er zum Hütteneingang. Oben am nachtschwarzen Himmel klebte ein voller Mond und tauchte die Lichtung in sein kaltes Licht. Ole machte sich drüben am Unterstand zu schaffen. Eilig sattelte er den Schimmel und zäumte ihn auf. Natürlich hatte er am Abend schon alles bereitgelegt. Dann band er sein Bündel an den Sattel, führte den Schimmel auf die Lichtung und saß auf, ein Junge auf einem großen Pferd. Noch bevor Ole zur Hütte herübersah, zog Jonas sich in ihren Schatten zurück. Gedämpfter Hufschlag. Ole war fort.
    Jonas kroch zu dem kleinen Holzklotz hinüber. In der Finsternis der Hütte brauchte es eine Weile, bis der Kerzenstummel brannte. Jonas kramte in seiner Hosentasche und hielt den Zettel schließlich ins Licht.

    So lange hatte er all diese Zettel mit sich herumgetragen, sogar Krempels Steckbrief hatte er verwahrt – bloß, um sich an etwas festzuhalten. Aber bis auf den einen, den er Ole mitgegeben hatte wie einen Zauberspruch, war jeder dieser Zettel doch nur eine Frage gewesen. An Fragen konnte man sich nicht festhalten. Es war an der Zeit, Antworten zu bekommen. Vertrau auf dich selbst , hatte Krempel gesagt.
    Jonas blies die Kerze aus und trat auf die Lichtung. Er könnte jetzt in die Vorratshütte gehen und sich ein Bündel mit Proviant schnüren, ein Bündel, wie Ole es hatte. Er könnte die Hütten nach einem vergessenen Messer durchstöbern, einem zurückgelassenen Bogen und einer Handvoll Pfeile. Er könnte den Sternen dort oben folgen und hoffen, dass sie ihn nach Wunderlich oder nach Kanaria führen würden. Jonas sog die kühle Nachtluft ein. Nichts von alledem würde er tun.
    Er lief über das feuchte Gras bis zum Bach. Erst am Abend hatte er begriffen, dass es dieser Bach war, an dessen Quelle Core gestorben war.
    Jonas ging in die Hocke, den Zettel noch immer in der Hand. Das Mondlicht glitzerte auf dem Wasser.

    Er streckte den Arm aus und ließ den Zettel fallen. Das Papier drehte sich einen Augenblick lang auf den Strudeln und trieb dann schaukelnd davon. Sekundenlang war es noch zu sehen, ein Flecken Weiß, der mit der Strömung tanzte, bis er in der Nacht verschwand.
    Jonas erhob sich zufrieden. Dann brach auch er auf, dem Bachlauf folgend, hinein in die geheimnisvolle Dunkelheit der Ferne.
    Jonas folgte dem gurgelnden Bach stundenlang. Die Nacht füllte alle Ritzen des Waldes. Die alten Bäume stöhnten im Schlaf, die jungen wisperten und warteten neugierig auf das Morgenlicht. Es kam als grauer Streifen am Horizont, ein lichter Faden im Gewölbe ineinander verflochtener Äste. Lange hatte sich Jonas durchs Unterholz gekämpft, jetzt war der Weg frei. Die Buchen hatten den Boden mit ihren Eckern bedeckt, bis kein noch so winziger Flecken Erde mehr frei geblieben war. In ihren Hallen duldeten sie nichts außer sich selbst. Jonas lief wie über einen Teppich.
    Schließlich brachen die ersten Farben durch das dichte Laub, erst rote, dann orange, dann flirrende gelbe Lichter, die bald darauf in den aufziehenden Schwaden verschwammen. Schwaden? Es war, als schwebten Wolken durch den Wald. Jonas war stehen geblieben, zum ersten Mal. Nebel konnte das kaum sein, es war wärmer geworden, feuchter.
    Jonas ging weiter, langsamer jetzt, und war bald ganz von den warmen Schwaden eingehüllt. Wie Schemen tauchten die dunklen Stämme der Bäume jetzt auf, fransten an den Rändern aus und waren gleich wieder im milchigen Dunst verschwunden. Wie ein Blinder streckte Jonas die Arme aus und seine Hände tauchten in die feuchten Schleier. Nicht einmal seine Füße konnte er noch sehen, doch Angst hatte er keine.
    Er ging weiter und weiter, bis die Säulenhalle des Buchenwalds sich auf eine breite Lichtung öffnete. Hier zogen die Schwaden himmelwärts und gaben den Blick frei auf ihren Ursprung, einen dampfenden See, in den der Bach, dem Jonas die ganze Zeit über gefolgt war, mündete.
    Jonas trat ans Ufer, hockte sich hin und tauchte die Hände vorsichtig ins Wasser. Der See musste von einer heißen Quelle gespeist werden. Das Wasser war weich und so warm, als sollte es einen Waschzuber

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