Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
flüsterte Jonas. »Eine Klosterruine. Blassgrauer Stein. Leere Bogenfenster. Das Dach ist lange abgedeckt. Die Dachsparren sind fort. Drinnen, im Hof, wächst eine Blutbuche – ihre dunkelroten Blätter ragen schon über den einsamen Giebel hinaus. Und alles …«
Wo kam das her?
»Weiter«, brummte der Wieflinger.
»Alles ist von Spinnweben bedeckt. Alles ist voller Netze. Das Tor, der Baum. Spinnweben überall.«
»Gut«, sagte der Wieflinger. »Dann sind wir so weit. Mach endlich die Augen auf.«
Jonas gehorchte. Auf der Lichtung, nicht weit vom Ufer entfernt und von den milchigen Schwaden des Sees umweht, erhob sich der Spinnenpalast genau so, wie Jonas ihn beschrieben hatte.
Das 40. Kapitel
Peregrin Aber erlebt ein Wunder
Peregrin Aber setzte sich. Er hatte sich redlich bemüht, seinen Rock sauber zu bekommen, jedoch ohne Erfolg. Immer noch sah er aus, als hätte er – in seinem Gesellschaftsanzug! – eine Stallwand gekalkt. Er setzte den Zylinder ab und wischte mit dem schmutzigen Ärmel über den früher einmal glänzenden Biberfilz. Aber er verteilte nur die weiße Schmiere, die von Wänden und Decken auf ihn herabgerieselt war.
Er seufzte. Anzug und Zylinder waren hin, so wie das Schloss hin war – im Prinzip. Immerhin war die Fassade eines ganzen Flügels zerstört. In den hochherrschaftlichen Zimmerfluchten könnten die Kanarienvögel jetzt Nester bauen. Der Raum, in dem Peregrin Aber sich befand, hatte allerdings noch alle vier Wände und eignete sich somit zu dem Gefängnis, zu dem er umfunktioniert worden war.
Zweifelsohne hatte es sich zuvor um ein Speisezimmer gehandelt. Die Wände ringsum waren mit dem kostbarsten Porzellan verziert – Arbeit genug für eine ganze Porzellanmanufaktur, die sich nun wiederum dumm und dämlich daran würde verdienen können, all diesen penetrant pastellfarbenen Zierrat wiederherzurichten. Kaum ein Stück Porzellan nämlich war heil geblieben, während Irmingast das Schloss in seinen Grundfesten erschüttert hatte. Kerzenständer lagen zerbrochen am Boden, Vasen waren überall von den Simsen gefallen und in hundert Scherben zersprungen, und der überdimensionierte, schreiend bunte Porzellanlüster, der ursprünglich über dem Esstisch gehangen haben musste, an dem Peregrin Aber jetzt saß, lag wie das Gerippe einer gierig geplünderten Weihnachtsgans auf dem Parkett.
Peregrin Aber konnte sich lebhaft vorstellen, wie der Lüster, während Irmingast draußen so unheilvoll wirkte, nach Art einer Schiffslaterne im Sturm hin- und hergeschwungen war, um dann von seinem eigenen Gewicht von der Decke gerissen zu werden und auf dem Fußboden zu zersplittern. Natürlich fiel dem Advokaten jetzt wieder der Leuchter in der Halle von Wunderlich ein und gleich knirschte er mit den Zähnen. Irmingast! Irmingast, der gleich zwei Mordanschläge auf den armen Jonas verübt hatte und letzten Endes auch ihn, Jonas’ gesetzlichen Vormund, kaum verschonen würde.
Doch Peregrin Aber hatte keine Angst! Einzig Abscheu empfand er, wenn er an den falschen Pfarrer dachte. Wahrhaftig, Peregrin Aber schäumte dann vor Wut! Seit einer Ewigkeit wartete er nun vergebens darauf, dass dieser Feighals sich zeigte und nicht länger diese bösartigen kleinen Schergen vorschickte, um seine Gefangenen hierhin oder dorthin zu schubsen!
Tatsächlich war Peregrin Aber zunächst wieder in die Kaserne verbracht worden – in einen Kerker, der dem ersten, in dem er gesessen hatte, zum Verwechseln ähnlich sah. Zu diesem Zeitpunkt war der Advokat, er konnte es nicht leugnen, am Boden zerstört gewesen. Zwar hatte er den Einsturz einer ganzen Fensterfront glücklich überlebt, gleich auf der erstbesten Treppe seines Fluchtwegs jedoch war er von Irmingasts kuttentragenden Kindersklaven aufgegriffen worden. Eine höchst unangenehme Erfahrung, die keineswegs dadurch gemildert wurde, dass Peregrin Aber diese Mönchlein bald als zu ihren Untaten verführte Kinder erkannte. Im Gegenteil! Irmingast wurde noch verabscheuungswürdiger dadurch!
Aus dem düsteren Verlies jedoch hatte man Peregrin Aber alsbald wieder zurück ins Schloss verfrachtet und schnurstracks in dieses hochnoble Gefängnis von Speisezimmer gebracht. Gleich zweierlei Gefühle hatten sich Peregrin Abers bemächtigt, als man ihn hineingeschubst hatte. Freudig erregt war der Advokat gewesen, als ihm niemand anders denn der Prinz Leopold in vollendeter Höflichkeit wieder auf die Beine half. Dann jedoch hatten ihn sogleich Gefühle des Ekels
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