Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
übermannt. In der entlegensten Ecke des Raums nämlich hatte er Alma entdeckt, feist und verstaubt, ein Trauerspiel aus Schmutz und Gold.
Peregrin Aber stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und sah zur gestürzten Kaiserin Kanarias hinüber. Seit Stunden hatte sie sich nicht bewegt. Immer noch lehnte sie reglos an der Wand, und hätte sich ihre Brust nicht wechselweise gesenkt und gehoben, man hätte sie für tot halten können. Zweifelsohne war sie eine gebrochene Frau. Frisur und Kleid waren ruiniert, besonders erschreckend aber war ihr leerer, glasiger Blick, der nichts mehr wahrnahm. Sogar die gelegentlichen Zornesausbrüche des Prinzen waren an ihr vorbeigegangen, vermutlich drangen sie selbst dann nicht bis an ihr Ohr, wenn Leopold sich die entwürdigendsten Strafen für sie ausdachte. Kübelweise Kuhmist solle man ihr über das bäuerliche Haupt gießen, hatte er gefordert, damit sie ja nicht wieder auf die Idee käme, ihre mindere Herkunft durch einen Kaisertitel zu verschleiern.
Mittlerweile jedoch schien Leopold sich beruhigt zu haben. Jeder Zoll ein König, stand er am Fenster und sah durch die zerbrochenen Scheiben hinaus in den Park. Offensichtlich hatte ihm der Einsturz des halben Gebäudes nichts anhaben können. Seine Uniform, die Stiefel, sogar seine sorgsam frisierten Locken waren nach wie vor tadellos.
»Oha!«, meldete der Prinz sich jetzt nach langer Zeit des Schweigens wieder zu Wort. »Es ist so weit. Wie ich sehe, bahnt sich dieser Nichtswürdige gerade seinen Weg durch die Trümmer.«
Natürlich hatte Peregrin Aber seinen letzten Verbündeten ins Vertrauen gezogen. Allerdings war er sich nicht sicher, inwieweit der Prinz ihm zugehört hatte. Den Schrank im Spielzimmer von Wunderlich hatte er zwar für »wahrhaft poetisch« erklärt, sich sonst aber nicht weiter damit befassen wollen. Und dass der Hirte, wie Leopold Irmingast nach wie vor zu nennen beliebte, ein Gauner war, sei ihm, so hatte der Prinz würdevoll dargelegt, ohnehin seit jeher klar gewesen.
Peregrin Aber erhob sich, legte gewohnheitsmäßig die Hand prüfend in sein Kreuz und gesellte sich, so schnell das eben ging, zu Leopold ans Fenster. Eben noch erhaschte er einen Blick auf Irmingast, wie der in seiner lächerlichen Kutte über die von Trümmern übersäte Sonnenterrasse stakste und dann im Schloss verschwand.
»Er kommt zu uns, Prinz, nicht wahr?«, murmelte der Advokat.
»Gewiss«, antwortete Leopold ungerührt und sah wieder hinaus.
»Ich bewundere Ihre Gelassenheit, Prinz. Das muss ich sagen.«
Leopold beugte sich gönnerhaft ein klein wenig zu Peregrin Aber herab. »Es wird uns nichts geschehen«, sagte er mit einem sanften Lächeln. »Das Gute obsiegt, gelehrter Freund. Immer.«
Peregrin Aber hob zweifelnd die Augenbrauen.
»Liest Er denn nur Gerichtsakten und keine Märchen?«, fragte Leopold.
»Äh …« Peregrin Aber errötete. Der Prinz war ein eigenartiger Mensch. Sehr gefühlvoll, zweifellos. Aber doch auch äußerst unvernünftig. In der Auseinandersetzung mit Irmingast würde er vermutlich keine Hilfe sein.
Peregrin Aber fasste die Tür des Speisezimmers ins Auge. Nun denn!, sagte er sich und wartete, dass die Tür endlich aufschwang.
Wie von einem eisigen Hauch umweht, trat Irmingast ins Zimmer. Er war allein. Ruckartig schloss er die Tür, sah sich einmal prüfend um und schlug dann die Kapuze zurück.
Mutig hielt Peregrin Aber den spiegelnden Brillengläsern stand.
»Willkommen, Herr Doktor«, sagte Irmingast in vollendeter Falschheit. »Willkommen in meinem Reich!«
Peregrin Aber schwieg eisern.
Irmingast lachte bösartig.
»Lachen Sie nicht!«, sagte Peregrin Aber streng.
»Nein? Soll ich nicht?« Irmingast bleckte seine widerwärtig langen Zähne. »Nun, Doktor, mir ist einfach nach Lachen zumute. Denn das hier …« In einer vermutlich weltumspannenden Geste breitete er die Arme aus. »… ist jetzt alles meins!« Er hielt inne und lächelte das schmierigste aller Lächeln. »Haben Sie sich sehr gewundert, Doktor, als Sie den Schrank im Spielzimmer entdeckt haben? Das war mehr, als Ihr kleines Paragraphenhirn ertragen konnte, was?«
»Ich war überrascht. In der Tat.« Mit einem schnellen Blick versicherte sich Peregrin Aber seiner Mitgefangenen. Leopold stand immer noch am Fenster. Anders als Alma jedoch, die weiterhin wie tot an der Wand lehnte, nahm er Irmingast immerhin zur Kenntnis.
Dessen Aufmerksamkeit allerdings schien ihm, Peregrin Aber, allein zu gelten.
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