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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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dieses Bisschen aus Brotteig, Sand und Leim, bis das kleine Gesicht ganz nah war. Die Augen der Marionette waren nicht mehr als zwei Farbtupfer, flüchtig mit dem Pinsel aufgetragen. Ein Tupfen war grün und der andere hellblau.
    Arnon Blau flüsterte. »Das bist du, Jonas.«

Das 42. Kapitel
erzählt eine unglaubliche Geschichte von fast allem
    Ich? Jonas fragte zum hundertsten Mal. »Das bin ich?« Er hockte auf dem nackten, staubigen Fußboden, den Rücken gegen eine kahle, kalte Wand gelehnt. Der Saal war so groß wie ein Feld. Ein Feld, auf dem Spinnweben wuchsen. Die winzige Figur barg Jonas wie einen Vogel in seiner Hand.
    Arnon Blau saß neben ihm, die Ellbogen auf die angewinkelten Knie gestützt. »Jetzt eins nach dem andern, Jonas«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Hast du noch andere Figuren in Wunderlich gesehen?«
    »Ja.« Jonas konnte seinen Blick nicht von der Figur wenden. »Fünf Figuren habe ich gefunden«, sagte er. »Erst den König, den Soldaten und den Mann mit dem Fernrohr. Später hat Tabbi mir den Jungen und den türkischen Reiter gebracht.« Er sah zu Arnon Blau auf und direkt in dessen rot geränderte Augen. »Ich weiß, dass sie die Sieben darstellen.«
    »Hast du die Figuren behalten?«, fragte Arnon Blau.
    »Ich habe sie versteckt«, sagte Jonas. »In einem Koffer. Und den Koffer …« Er zögerte einen Augenblick. Keiner Seele hatte er dieses Versteck verraten. Tabbi war beschäftigt gewesen, und er hatte sich unbemerkt fortgestohlen, um den Koffer zu holen. Es kam ihm vor, als wäre das hundert Jahre her. »Den Koffer habe ich im Kartoffelkasten vergraben«, sagte er endlich. »In der Speisekammer. In Wunderlich. Unter den Kartoffeln.«
    Arnon Blau lächelte. »Gut gemacht«, sagte er. »Hast du sie alle kennengelernt? Da draußen? Lunette und Leopold, Suleman und Fiet? Sie alle?«
    Jonas lächelte. »Ja.« Für einen Moment, als Arnon Blau da draußen sagte, wurde ihm klar, dass er einen Weg aus dem Spinnenpalast würde finden müssen. Die Spindeltreppe gab es nicht mehr. Ob der Wieflinger helfen könnte? Er wünschte es sich. Er wünschte sich, dass der Wieflinger käme, ihn zu holen.
    »Und irgendwann ist dir die Ähnlichkeit aufgefallen«, sagte Arnon Blau.
    »Ja.« Jonas war wieder so konzentriert, dass es wehtat. Sein Kopf war so hart und schwer wie ein Fels. Er sah auf die winzige Figur in seiner Hand. Es war wunderbar, sie zu haben, und entsetzlich zugleich.
    »Alles passte, nicht wahr? Du findest einen kleinen, bunten König und begegnest Leopold. Eine der Figuren hat ein Fernrohr und Lunette ist ein Sterngucker. Wo kann da der Zusammenhang sein, hast du dich gefragt. Ganz einfach, stimmt’s? Die Sonneberger Figuren sind Modelle! Sie stellen die Menschen dar, denen du hier begegnet bist.«
    »Ja«, flüsterte Jonas. Er hatte lange gebraucht, um das zu verstehen, aber schließlich hatte er es begriffen. Und nun gab es seltsamerweise auch ein Modell von ihm selbst. Eine Jonas-Figur, die zwar so winzig war, dass sie ihm kaum ähneln konnte, die aber seine Augen hatte. Seine »Geisteraugen«.
    Mit einiger Mühe kämpfte sich Arnon Blau auf die Beine, nur um eine Weile nachdenklich vor Jonas auf und ab zu hinken. Sein linkes Bein war eine ganze Handbreit kürzer als das andere.
    »Du musst mir jetzt gut zuhören, Jonas«, sagte Arnon Blau endlich. »Und es kann sein, dass du mir kein Wort glauben wirst. Bist du bereit?«
    War es nicht schrecklich einfach, »ja« zu sagen? War er nicht den ganzen langen Weg gekommen, um jetzt »ja« zu sagen? Warum fiel es ihm dann so schwer?
    »Hast du dich je gefragt, wer dein Vater ist?«
    Jonas blieb stumm. Er starrte auf die Figur in seiner Hand, auf den grünen und den blauen Farbtupfer in dem winzigen Gesicht. Weißt du, was deine Augen sehen? Das hatte Trut ihn gefragt, damals in der Nacht am Steinbruch. Jonas streckte die Figur Arnon Blau entgegen. Er hatte schon lange niemanden mehr nach seinem Vater gefragt. »Hat Leopold einen Vater?«, flüsterte er. »Hat Fiet einen?«
    Arnon Blau schüttelte den Kopf. »So wenig, wie du einen Vater hast.« Er sah ihn besorgt an. »Hältst du es aus?«, fragte er.
    »Erklär es mir«, sagte Jonas.
    Arnon Blau hatte sich wieder umständlich neben ihn gehockt. Er hatte die Handflächen aneinandergelegt und drückte seine Nase gegen den Kamm aus Fingerspitzen. Er suchte nach den richtigen Worten und nahm sich Zeit dafür.
    Jonas lehnte den Kopf zurück, bis er an die Wand stieß. Er schloss die Augen. Es

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