Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
Vom Netzwerk:
pochte hinter seinen Schläfen. Er war bereit. Er würde es aushalten. Er hatte alles ausgehalten bislang.
    »Es ist schwer zu verstehen, Jonas«, sagte Arnon Blau endlich, »aber diese Figuren sind keine Abbilder. Alles sträubt sich dagegen, ich weiß, und doch ist es so. Niemand hat die Sonneberger Figuren nach dem Vorbild der Sieben geformt, hörst du? Die Figuren waren zuerst da. Es gibt die Sieben, weil es die Figuren gibt. Nicht andersherum. Das Gleiche gilt für dich.«
    Es war ganz still im Raum.
    »Es war ein Spiel, Jonas«, flüsterte Arnon Blau. »Es ist unfassbar, ich weiß. Aber es war ein Spiel.«
    Hinter Jonas’ geschlossenen Lidern tauchte Tabbi auf. Noch einmal stand sie in der Küche in Wunderlich. Es war der Tag, als er in Almas Zimmer die ersten Figuren und das kleine Heft gefunden hatte. Clara und Alma haben in ihren Spielen gelebt , sagte Tabbi gerade. Sie haben sich ein anderes Leben ausgedacht. Im Spiel . Jonas hatte es nicht vergessen, und Arnon Blau irrte sich. Was er da sagte, war nicht unfassbar. Jonas hatte einen Kiesel gehabt. Er hatte den Wieflinger erfunden. Er war dem Wieflinger begegnet. Der Räuber wartete auf ihn – jetzt, in diesem Moment, draußen vor dem Spinnenpalast. Jonas wusste, wie wirklich ein Spiel war.
    Er holte tief Luft, er holte sie aus den tiefsten Tiefen seines Bauchs. Es wäre alles ganz einfach, dachte er. Völlig verrückt, aber am Ende ganz einfach. Das Spiel war Wirklichkeit geworden, so, als wäre er, damals bei Brand, in den Räuberwald aus Tannenzapfen hinabgestiegen. Wenn es nur nicht diese Figur mit dem grünen und dem blauen Auge gäbe, die er in seiner Hand verbarg! Dann wäre alles ganz einfach.
    »Vor beinahe siebzig Jahren«, hörte er Arnon Blau sagen, »brachte der alte Baron die Sonneberger Figuren nach Wunderlich. Er war auf Reisen gewesen und hatte sie irgendwo gekauft. Die Figuren waren ein Geschenk für Clara und Alma. Clara hat mir viele Jahre später von dem Morgen erzählt, als sie sie ausgepackt haben. Die beiden waren damals noch kleine Mädchen. Clara hat den Puppenspieler hochgehoben und Das ist meiner! gerufen. Und Alma hat sich gleich den König geschnappt. Das ging so, bis nur noch der Sterngucker übrig war, der Mann mit dem Fernrohr. Es waren sieben Figuren – die kann man nicht gerecht teilen. Am Ende hat Clara nachgegeben, das war wohl meistens so. Alma bekam den Sterngucker. Und dann sind sie zum Turm gelaufen, hoch in ihr Spielzimmer. Und das Spiel begann.« Durch seine Nase stieß Arnon Blau Luft aus, Jonas konnte es hören. »Dieses Spiel währt immer noch«, sagte er leise. »Du steckst mittendrin, Jonas, in diesem Spiel.«
    Manchmal ist Alma tagelang im Spielzimmer , hatte Tabbi in der Küche gesagt. Jonas wusste schon lange, wo Alma dann war. Und jetzt wusste er auch, was sie dann tat. Sie spielte.
    »Nach und nach«, hörte er Arnon Blau fortfahren, »bekamen alle Figuren Namen. Mittlerweile hatten die Mädchen einen Hauslehrer, sie lernten Französisch und Clara taufte den Sterngucker Marquis de Lunette. Lunette heißt auf Französisch Fernrohr.«
    Für einen Augenblick hatte sich Jonas in Arnon Blaus Erzählung treiben lassen wie in dem warmen Wasser des Sees draußen. Jetzt hob er den Kopf und öffnete die Augen. »Aber Lunette war doch Almas Figur«, sagte er.
    Arnon Blau nickte. »Lunette, Leopold, Grimbert und Faramund gehörten Alma.«
    »Faramund auch?«, fragte Jonas.
    »Psst!«, machte Arnon Blau. »Faramund auch. Aber eins nach dem andern.«
    Jonas legte wieder den Kopf zurück und schloss die Augen. Solange die Geschichte, die Arnon Blau zu erzählen wusste, nicht unmittelbar mit ihm selbst zu tun hatte, solange er noch nicht darin vorkam, war es gut.
    »Clara hat sich alle Namen ausgedacht, Jonas. Von ihr stammen alle Geschichten, auch wenn sie vieles Alma zuliebe erfunden hat. Ich glaube nicht, dass es einen König gegeben hätte, wenn es allein nach Clara gegangen wäre. Sie war wie die Figuren, die sie sich ausgesucht hat. Ein Puppenspieler, aus dem sie eine Puppenspielerin gemacht hat, ein verwegen dreinschauender Junge, ein schmucker türkischer Reiter. Den Jungen hat sich Clara zuerst als kleinen Taschendieb vorgestellt. Daher der Name – Fiet Finger.« Arnon Blau seufzte schwer.
    Alles, was Tabbi ihm über Clara und Alma erzählt hatte, kehrte zu Jonas zurück. Die Abgeschiedenheit, in der die beiden aufgewachsen waren, Claras sprühende Fantasie, der nicht zu schlichtende Streit, zu dem es

Weitere Kostenlose Bücher