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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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Feuchtigkeit glänzende Netze miteinander verbunden. Jonas erinnerte sich an die Trümmer in der Flüsterstadt, die den Weg zu Lunettes Turm versperrt hatten. Voller Augen waren sie gewesen. Aber Jonas war sich sicher – bis in den Spinnenpalast reichte Irmingasts Macht nicht.
    Der Spinnenpalast war ein stiller Ort. Zwischen seinen Mauern war es schattig und kühl.
    Jonas hielt die Ellbogen an den Körper gepresst. Halb geduckt stand er da, ganz steif, weil er nichts berühren wollte. Auch ohne Irmingast war er auf der Hut.
    Was würde ihn hier erwarten?
    Schüchtern sah er sich um. Vom ursprünglichen Gebäude waren meistenteils nur noch die Außenmauern übrig. Über den Giebel dort drüben spannte sich statt eines Dachs einzig der Himmel. Bloß ein Gebäudeteil, gleich rechts, war heil geblieben. Drei dicht von giftgrünem Moos bewachsene Stufen führten dort zu einem Türstock hinauf. In den rostigen Angeln jedoch hing keine Tür mehr, stattdessen verwehrte ein Vorhang aus Spinnweben den Zutritt.
    Jonas sah über diese sonderbare Tür hinaus nach oben. Grauer, dunkler Stein. Zwei, drei Fenster hoch, vier, fünf, sechs Fenster breit – alle von Spinnweben vollkommen zugekleistert.
    Er ging in die Hocke und sah einer kleinen Spinne auf ihrem beschwerlichen Weg über die bemoosten Stufen zu. Einen Moment lang vergaß er, wo er war, und folgte einzig dem Tasten, Halten, Stemmen der acht dünnen Spinnenbeine. Dann stützte er die Hände auf seine Oberschenkel und stand wieder auf. Alle Spinnen hatten acht Beine.
    »Hier geht es rein«, rief er dem Wieflinger zu. Wartete der Räuber überhaupt noch auf ihn? Vielleicht war er ja schon wieder verschwunden. Vielleicht war er überhaupt nie da gewesen und Jonas hatte geträumt.
    Doch das vertraute Knurren kam prompt. »Na, dann rein mit dir in Herrgottsnamen! Aber halt! Merk dir den Weg raus, junger Mann! Hörst du?«
    Jonas nickte. Dabei konnte ihn der Wieflinger ja gar nicht sehen.
    »Hörst du?«, rief der Wieflinger von draußen.
    »Ja«, sagte Jonas leise. Dann noch einmal, lauter. »Ja!«
    Ängstlich darauf bedacht, die tapfere kleine Spinne nicht zu zertreten, nahm er die wenigen Stufen. Das Netz zwischen den Türpfosten konnte er nicht verschonen. Er bewunderte es einen Augenblick lang, bis er die Hände ausstreckte und sie in den weichen, klebrigen Vorhang tauchte. Wie ein Handschuh schlossen sich die Fäden um seine Finger. Jonas bekam sie bündelweise zu fassen und riss, bis die Spinnweben dick wie Seile vom Türstock baumelten. Er säuberte sich die Hände, so gut es ging, und tauchte dann unter den verbliebenen Fetzen hindurch ins Innere des Gebäudes.
    Der Raum, den er betrat, war vollkommen leer – bis auf die allgegenwärtigen Spinnennetze, die sich wie Stoffbahnen unter der Decke bauschten. In allen vier Zimmerecken spannte sich je ein gewaltiges Rad, das Fenster war vollkommen von Spinnweben verhangen. Nur trübes, graues Licht drang in den Raum. Die Luft war so trocken und staubig, dass Jonas husten musste. Wie Gebell kam der Husten von den Wänden zurück. Jonas’ erster, zaghafter Schritt hallte dumpf.
    Ob ihn jemand hörte?
    Ob an diesem verwunschenen Ort außer den Spinnen überhaupt jemand war?
    Jonas hätte dem Wieflinger gern etwas zugerufen. Doch er ließ es lieber. Stattdessen legte er den Kopf schief und sah misstrauisch zur Decke empor. Wenn man nur lange genug hinschaute, sah man es hinter den dichten Schleiern krabbeln.
    »Scht«, machte Jonas und legte einen Finger an die Lippen.
    Sprach er jetzt mit den Spinnen?
    Von drinnen wirkte das Gebäude viel größer als von draußen. Durch den eingesponnenen Türrahmen am anderen Ende des Raums konnte man grau in grau eine ganze Zimmerflucht erahnen. Wie viele Fenster hatte Jonas draußen gezählt?
    »Ist da jemand?«
    Jonas erschrak vor seiner eigenen Stimme.
    »Ist jemand hier?«
    Nichts rührte sich.
    Jonas durchbrach auch das nächste Spinnennetz, die Fäden blieben an seinen Sachen kleben.
    Der angrenzende Raum sah nicht anders aus als der erste. Leer, farblos und staubig, Spinnweben überall. Jonas’ Mund war trocken. Unter seinen Schuhen knirschte körniger Staub.
    Er ging weiter, Zimmer für Zimmer, bis seine Brust ganz von Spinnweben verklebt war. Nach einer halben Ewigkeit stieß er auf eine Spindeltreppe. In engen Windungen schraubte sie sich in das nächste Stockwerk hinauf. Das Treppengehäuse jedoch war wie mit schmutziger Zuckerwatte gefüllt, nicht eine Stufe konnte man noch

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