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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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blieb.
    Ruben hatte sogar den vierten Absatz des Testaments erwähnt – jene vermaledeite Passage, die Jonas den Zutritt zum Spielzimmer verwehrte. Eigentlich betraf das ihn, den Advokaten, der das Testament aufgesetzt hatte, ja unmittelbar. Andererseits gingen Peregrin Aber die Vorwürfe, die Irmingast ihm gemacht hatte, nicht aus dem Kopf, und vielleicht hatte er, als Ruben sprach, gar nicht richtig zuhören wollen . Hatte er, Peregrin Aber, etwa versagt? Als Anwalt? Als Vormund? Als Mensch?
    Er scharrte mit dem Füßen im Sand.
    Nein!, sagte er sich dann. Wenn er sich jetzt an Rubens Erklärung zu erinnern versuchte, dann war, was geschehen war, letztlich gar nicht zu verhindern gewesen. Das ganze Durcheinander verdankte sich am Ende doch Claras Unentschiedenheit. Einerseits hatte sie den Jungen zu diesem Wirt, Brand, schaffen lassen; andererseits hatte sie Jonas, als es ans Sterben ging und ihr klar wurde, dass sie Alma nicht überleben würde, dann doch zurückgeholt. Einerseits hatte sie dem Jungen das Spielzimmer verboten; andererseits hatte sie Jonas überhaupt erst in die Nähe dieses gefährlichen Schranks gebracht. Und zwar hatte sie den Jungen vor der Welt hinter diesem Schrank schützen wollen; gleichzeitig aber hatte sie insgeheim darauf gehofft, ausgerechnet Jonas könne in dieser Welt Ordnung schaffen.
    Was für eine scheußliche Zerrissenheit, dachte Peregrin Aber. Früher hätte er sich fraglos darüber aufgeregt und der armen Clara – konnte sie ihn in ihrem kühlen Grab nun hören oder nicht – die bittersten Vorwürfe gemacht. Mittlerweile allerdings war er milder gestimmt als früher. Auch er war ja geprüft worden und hatte so einiges durchgemacht. Und wenn überhaupt noch etwas sicher war, dann dass gar nichts sicher war, sobald erst dieser Schrank, diese Sonneberger Figuren, sobald, kurzum, dieser Jonas Nichts ins Spiel kam. Peregrin Aber hatte sich verändert, und er bemerkte wohl, dass auch Jonas nicht mehr derselbe war.
    Es mochte nicht messbar sein, aber der Junge war gewachsen. Seine buntscheckigen Augen strahlten wie niemals zuvor, und zugleich umgab ihn eine bemerkenswerte Ruhe. Jonas war sich seiner Sache gewiss, und all diese fabelhaften Wesen um ihn herum schienen das zu spüren. Sie umringten ihn ehrfürchtig und hörten ihm andächtig zu. Sie wollten alle mit ihm gehen, ihm folgen – so viel hatte Peregrin Aber mitbekommen.
    Dort am Ufer standen sie jetzt alle beisammen, die Einäugigen und die Elfen, die Riesen und die Zwerge, Tillas Brüder und Schwestern, die sich Stunde für Stunde weniger ähnlich zu sein schienen, und dazu dieses langhaarige Hinkebein, diese zwielichtige Gestalt mit dem ausladenden Filzhut und der blasse, rothaarige Junge. Natürlich standen auch Tilla, die gute Tabbi, der wackere Prinz, der gewitzte Marquis und Trut, das leuchtende Fabelwesen, das so freundlich gewesen war, dieses Monstrum von Tisch hinunterzukurbeln, bei Jonas. Genau genommen war Peregrin Aber der Einzige, der abseits stand.
    Doch dem Advokaten war das ganz recht. Zweifellos plante man, zur Insel überzusetzen, immer wieder nämlich wurden Klagen laut, es gäbe nicht genug Boote für alle. Peregrin Aber jedoch wollte auf gar keinen Fall auf dieses Schlachtfeld zurück. Er hatte den beißenden Rauch, die zersplitterten Bäume, das Rennen, Rufen, Raufen in böser Erinnerung. Im Nachhinein kam es ihm vor, als wäre er in Unterhosen durch die Unterwelt geirrt und hätte nur, weil er glücklich an Rubens Hemdzipfel hing, zurück ans Tageslicht gefunden.
    Natürlich hätte er am liebsten auch Jonas daran gehindert, zur Insel überzusetzen. Doch Vormundschaft hin oder her – Peregrin Aber fühlte sich derzeit außerstande, Jonas etwas zu verbieten. Der Junge hatte das Heft in der Hand, das war offensichtlich, und womöglich war er sogar dem scheußlichen Irmingast gewachsen. Wenn Jonas sprach, was in der hitzigen Debatte am Ufer selten vorkam, verstummten alle anderen.
    Und so war es auch jetzt. Jonas Nichts schien ein letztes Wort gesprochen zu haben, und stirnrunzelnd, aber untätig sah Peregrin Aber zu, wie er sich an die Spitze dieses außerordentlichen Zuges setzte.
    Was hatte Jonas nur vor? Seinen kleinen Koffer in der Hand, spazierte er den Steg entlang, aufs Wasser hinaus. Und alle folgten ihm. Zuerst Ruben und der rothaarige Junge, anschließend Lunette, der Tabbi galant den Arm gereicht hatte, das Hinkebein und der Mann mit dem Hut, dann der Prinz mit der freundlichen Tilla und

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