Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
einer. Faramund griff schon nach seinem Arm. Seine kleinen, in den Wangen vergrabenen Augen stachen.
Jonas hatte den Hügelkamm erreicht. Faramunds Hand krallte sich in seinen Arm. Er streckte dem Mönch den Koffer hin. Faramund ließ seinen Arm nicht los. Beinahe zärtlich betrachtete er den Koffer, ein stiller Moment des Triumphs. Doch sein Griff war schon nicht mehr ganz so fest. Jonas sah auf Faramunds bleiche, feiste Hand. Sie verschwamm an den Rändern. Sie löste sich auf wie Nebel. Sie ließ los.
Jonas war nicht einmal überrascht. Wie unbeteiligt sah er zu, als Faramund in die Knie ging. Lautlos sackte der Mönch ins Gras. Sein bleicher Schädel wirkte schon milchig. Er fiel aufs Gesicht. Unter dem immer fadenscheiniger werdenden Stoff seiner Kutte wurden die ersten Halme sichtbar. Faramunds massiger Leib wirkte plötzlich flach, immer farbloser, bis er ganz verschwand. Nur sein Kopf leuchtete noch einen Moment, ein heller, konturloser Fleck im struppigen Gras, eine letzte, körperlose Lache. Dann nichts mehr. Es war, als hätte es Faramund nie gegeben.
Jonas barg den Koffer wieder an seiner Brust. Für einen kurzen Moment überschwemmte ihn die aufgeschobene Angst, bis sie schließlich einer bleiernen Traurigkeit Platz machte. Einer der Sieben war tot. Er hatte das nicht gewollt. Aber hatte er es nicht geahnt? Hatte er nicht gespürt, dass Faramund nicht mehr derselbe war? Etwas musste geschehen sein, noch bevor der Mönch hier aufgetaucht war. Etwas, das alles veränderte.
Jonas sah auf den Dorfplatz hinab, plötzlich in freudiger Erwartung. Ruben stand dort, mitten auf dem sandigen Platz, das Haar vom Wind verwirbelt, mit zerrissenem Hemd. Der Diener grinste und streckte Jonas die Arme entgegen. Er hielt etwas in den Händen. Er wollte es Jonas zeigen.
Jonas nickte. Jetzt wusste er, was sich verändert hatte. Es war Faramunds Figur, die Ruben ihm zeigte. Sie war in zwei Teile zerbrochen. Der Diener hielt ein Bruchstück in jeder Hand. Ruben hatte Faramund zerbrochen.
»HIER! HIER!«, rief es da.
Aus Jonas’ Lächeln wurde ein Lachen.
Peregrin Aber wankte über den Platz. Der Erbprinz Leopold und Trut, der Alb aus dem Steinbruch, folgten ihm auf dem Fuße. Der Advokat schwenkte aufgeregt seinen Zylinder.
»NA ENDLICH!«, rief er. »NA ENDLICH!«
Wieso bloß war Peregrin Aber in seinen Unterhosen unterwegs?
Das 45. Kapitel
behandelt in gebotener Kürze die Gefühle des Peregrin Aber
Auch Peregrin Aber hatte Gefühle, er konnte sie nur nicht recht ausdrücken. Ein körperlicher Mensch war er nie gewesen und jetzt hatten ihn auch noch die Worte verlassen. Von all den sonderbaren Gestalten, die auf dem Dorfplatz versammelt waren, machte er sich keinen Begriff, mochten sie nun Zwerge oder Riesen sein, Elfen oder Einäugige. Und auch, was auf dem Hügelkamm geschehen war, erschloss sich dem Advokaten nicht. Der Mönch dort oben hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst, und es hätte Zeiten gegeben, da hätte Peregrin Aber gegen eine solche Beobachtung aufs Schärfste protestiert. Das Beste aber war – mittlerweile war es ihm gleich. Peregrin Aber hatte feuchte Augen. Er hatte den Jungen wieder! Seinen Jungen! Nach so viel Leid und Mühsal hatte er ihn endlich wieder!
Ein wenig verloren hatte Peregrin Aber dagestanden, als Jonas den Hügel herablief, mit heißem Herzen und feuchten Händen hatte er zugesehen, wie Ruben den Jungen in die Arme schloss und wie Jonas bald darauf den blassen, kleinen, rothaarigen Jungen umarmte. Dann war Peregrin Aber selbst zur Tat geschritten und hatte Jonas so fest er nur konnte die Hand gedrückt. Was er dem Jungen gesagt hatte, wusste er gar nicht mehr. Es war am Ende vielleicht auch nicht so wichtig.
Tabbi hatte ihn herzlich begrüßt, der Marquis hatte ihm freundschaftlich die Schulter geklopft, und jetzt stand Peregrin Aber nicht weniger verloren als eben, aber glücklich auf dem sandigen Dorfplatz herum.
Ruben, das war ihm nicht entgangen, hatte sich bei Jonas entschuldigt und zu einer langen Erklärung angesetzt, der Peregrin Aber schon deshalb kaum hatte folgen können, weil er sich einfach nicht daran gewöhnen wollte, dass Ruben sprach. Doch wenn er jetzt, während der ganze Dorfplatz in Aufruhr war, darüber nachdachte, dann schien es ihm, als wäre es Ruben um Clara gegangen. Jawohl, um Clara, und warum Ruben Jonas so lange vom Spielzimmer ferngehalten hatte. So lange, bis Schüsse gefallen waren und Jonas nur noch die Flucht durch den Schrank
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