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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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schließlich alle anderen. Es mussten weit über hundert sein, Bauern, Fischer, Soldaten und die bunte Schar jener, die auf der Insel gefangen gewesen waren. Es war eine richtige Prozession.
    Nur – wohin sollte sie führen? Wollten sich alle nun, Jonas voraus, wie die Lemminge ins Wasser stürzen? Wollten sie zur Insel schwimmen ? Einige Boote lagen doch am Ufer, darunter auch das, mit dem Peregrin Aber übergesetzt war – seekrank natürlich, mit vom Schaukeln der Wellen verdorbenem Magen. Warum um Himmels willen machte man nicht wenigstens von diesen Booten Gebrauch?
    Peregrin Aber schob sich den ruinierten Zylinder in den Nacken und kratzte sich verwundert die kahle Stirn.
    Jonas ging immer weiter.
    Hatte ihn, Peregrin Aber, nun auch noch der Gesichtssinn verlassen? War er das Opfer einer optischen Täuschung?
    Er kniff die Augen zu, so wie es sehr kleine Kinder tun, wenn sie sich etwas wünschen. Was er sich wünschte, wusste Peregrin Aber dabei gar nicht so genau. Vielleicht einmal mehr, dass nicht wahr war, was er da beobachtete.
    Doch als er die Augen wieder aufmachte, half kein Leugnen mehr. Der Steg wurde länger und länger! Es war, als würde Jonas mit jedem Schritt, den er tat, eine weitere Planke anfügen, sodass der Steg immer weiter aufs Wasser hinaus führte.
    Und Jonas schritt immer noch munter aus. Schon wurden die, die da so vertrauensvoll über das Wasser wandelten, auf die wachsende Entfernung kleiner und kleiner, bis sie schließlich ganz ineinander verschwammen und zu einem bunten Haufen wurden, der bald schon das Inselufer erreichen würde.
    Mein Gott!, dachte Peregrin Aber, ein Steg so lang wie eine Straße, geschaffen mit weniger als einem Fingerschnippen! Und für einen Moment war er versucht, seinen Verstand einzuschalten und nach allen Regeln der Kunst wegzuerklären, was er da sah. Immerhin waren seine Nerven zerrüttet! Ein Wunder wäre es nicht, wenn er jetzt weiße Mäuse sähe.
    Dann jedoch stellte er sich vor, nicht an diesem, sondern am andern Ufer zu stehen und nicht diese sonderbare Prozession zu beobachten, sondern sich selbst. Peregrin Aber, ein kleiner, dicker Mann auf dünnen Beinen, in schlotternde Unterhosen gewandet und mit einem schmutzigen Zylinder auf dem Kopf. Von der andern Seite aus betrachtet, könnte er, der einflussreiche Advokat, der Vormund des Jonas Nichts, ja ebenso gut ein Spielzeug sein, mit einem Tröpfchen Leim dort, unter einer Eiche aus Pappmaché, festgeklebt.
    Peregrin Aber grinste breit. Eine Eiche aus Pappmaché! Ein Tröpfchen Leim für den Advokaten! Was gab ihm die Gesellschaft dieses Jonas Nichts nur für Gedanken ein!

Das 46. Kapitel,
in welchem ein Puppenhaus verschwindet
    Jonas sah nicht zurück. Er hielt den Koffer fest im Arm. Ruben und Ole waren an seiner Seite. Beißender Rauch über der Insel. Kahlschlag. Aus dem Augenwinkel sah er, wie auch Tabbi und Lunette, Leopold und Tilla, Arnon Blau und der Wieflinger, Trut und alle anderen das Ende des langen Stegs erreichten. Am Inselufer herrschte plötzlich drangvolle Enge. In Jonas’ Rücken wurden Rufe laut, teils entsetzt, teils zornig.
    Der Park lag in Trümmern. Alle Bäume waren entwurzelt und rettungslos ineinander verhakt. Die dicht belaubten Wipfel lagen wie Gesichter im Dreck, das helle Holz der Bruchstellen wie offene Wunden.
    Pfade gab es am Ufer keine mehr. Überall verwehrten Stämme den Weg. Jonas kletterte über den ersten, kroch unter einem zweiten hindurch, und alle folgten ihm. Man hörte sie reden, stolpern, schimpfen – es waren so viele. Nur Ruben und Ole sprachen kein Wort. Sie waren sehr ernst.
    Nach mühsamer Kletterei erreichten sie endlich den alten bleichen Weg. Auch hier lagen die Bäume kreuz und quer, trotzdem ging es sich leichter. Sie folgten einem Zickzackkurs, an allen Hindernissen vorbei, ein Strom von Gestalten, der sich zum Schloss hin wand.
    Ein Stück vom Wegesrand entfernt leuchtete zwischen zersplitterten Stämmen weißer Marmor auf. Die fallenden Bäume hatten den riesenhaften Kanarienvogel von seinem Sockel geholt. Jonas erinnerte sich gut an ihn. Er hatte so raubtierhaft gewirkt. Jetzt hatte sich sein Schnabel in die Erde gebohrt, die ausgebreiteten Flügel waren abgebrochen, der Rumpf war halb von einem herabgerauschten Wipfel verborgen.
    Jonas hielt einen Augenblick inne. Die Insel würde nie mehr so werden, wie sie gewesen war, dachte er. Der alte Wald würde vermodern und ein neuer würde sich auch über den Wegen schließen und alle

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