Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
Träumen, aus denen man kopfschüttelnd erwacht. Er sah nur gleißendes Weiß, goldglänzendes Gelb und das satte dunkle Grün der Hecken und Buchsbäume, die aber gar nicht wie Hecken und Buchsbäume ausschauten, sondern wie Kugeln, Kegel und Pyramiden. Manche von ihnen waren manns-, andere nur kniehoch, und alle waren sie so sorgfältig über die weite Fläche verteilt, als sollten sie eine Torte verzieren. Weiß wie Ströme aus Sahne flossen die Wege an ihnen vorbei, bestreut mit makellos runden Kieseln.
Hätte Jonas von hoch oben auf diese Wege geschaut, er hätte die Kreise und Halbkreise, die ineinandergeschobenen Ringe gesehen, die sie formten, aber Jonas’ Blick war schon weiter über die offene Fläche geirrt, angezogen vom nächsten Spektakel und gleich abgelenkt vom übernächsten.
Da waren Blumenrabatten in jeder erdenklichen Form und Farbe, rund und eckig und geschwungen und immer sauber begrenzt, und da war das Wasser, das auf dem Marmor klimperte wie auf einem Klavier. Gleich drei Brunnen spien es hoch in den sattblauen Himmel und dann sprengten Abertausende Tropfen leuchtend und schillernd wieder hinab in die gewaltigen, glitzernden Becken.
Unvermittelt fiel Jonas Oles Frage ein, ob er mit beiden Augen dasselbe sähe, und aus einer Laune heraus kniff er erst das eine zu, das grüne, und dann das andere, das blaue, helle. Es war nicht ganz dasselbe; von Augenblick zu Augenblick rückten die Brunnen ein Stück zur Seite, so, als könnte Jonas sie, bloß indem er sie ansah, verschieben.
Aber Jonas vergaß sein Spiel gleich, denn was für Brunnen das waren! Höher als das höchste Haus, das Jonas – wenigstens bis eben – je gesehen hatte, türmten sich die Figuren aus strahlend weißem Marmor, so, als hätte ein Riese sie dort gestapelt. Hoffnungslos ineinander verschlungen, schmückten sie nicht den Brunnen, sie waren der Brunnen – ein Monument aus Marmorleibern. Elefanten wanden den Rüssel um Löwenleiber, Löwen klammerten ihre Pranken an Pferdeschweife, Pferdehälse klebten an Adlerschwingen und hoch oben über dieser verwickelten Welt thronten riesenhaft die kaiserlichen Kanarienvögel und spuckten gewaltige Fontänen in die Welt.
Es waren hässliche Vögel, dachte Jonas. Sie waren so unangenehm wie … er wusste nicht, was.
Doch selbst die Brunnen waren nur der Vorhof zur Pracht, denn erst hinter ihrem Schleier aus Gischt erhob sich das Schloss. Kanaria war zu groß, um es mit einem einzigen Blick zu fassen, selbst von hier, noch halb unter dem Laubdach der schnurgeraden Allee.
Jonas kam das Schloss vor wie ein goldener Riegel, der den Park verschloss, und einen seltsam wirren, unscharfen Gedanken lang wünschte er sich, Elsa könnte es sehen, um dann später, an Brands Herd, in Gedanken ihre Märchenprinzen hierherzuschicken, in Samt und Seide gekleidet und auf weißen Pferden. Plötzlich sah er Elsa da stehen, wo jetzt Ole stand, und verzückt und gar nicht ungläubig in die Hände klatschen, und dann stand wieder Ole da und Jonas stierte auf das Schloss.
Es war drei Stockwerke hoch, und jedes davon kam ihm wie eine endlose Reihe hoher Fenster und Terrassentüren vor, in schönster Regelmäßigkeit unterbrochen vom goldgelben Anstrich. Hoch oben, auf dem flachen Schlossdach standen gegen den Himmel kleine, aus der Nähe bestimmt aber riesenhafte Figuren, stramme Soldaten ebenso wie die unausweichlichen Kanarien. Darunter begann die erste Reihe von Fenstern, schwer mit Stuck beladen, und auf der Balkonbrüstung in der Mitte drängten sich wiederum so viele steinerne Gestalten, als würde dort ein unbewegtes, stummes Fest gefeiert.
Eine Etage tiefer waren die Fenster noch höher und der dazugehörige, von mächtigen Säulen getragene Balkon wirkte wie eine Loge im Theater des Parks. Im untersten Stockwerk schließlich öffnete sich jede der Türen auf die tiefe, mit übermannshohen Topfpalmen dekorierte Terrasse, von der über die ganze Front eine makellos weiße Treppe hinab in den Park führte. Die Stufen dieser Treppe waren so niedrig und tief, dass, wer sich auf den langen Weg nach unten machte, mehr herabflösse als stiege.
Jonas holte tief Luft. Elsa war aus seinen Gedanken verschwunden. Die Kaiserin, der dieses Schloss gehörte, musste mächtig sein, dachte er. Und ausgerechnet in die Fänge ihrer Soldaten war Ruben geraten.
»Da wären wir also«, murmelte Ole Mond, der mit seinem abgetragenen Mantel, dem Rucksack und seiner himmelschreienden Frisur so gar nicht nach
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