Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
aber fast.
»Was machen sie denn jetzt mit Ruben, Ole?«
»Hm.« Ole schmierte sich den verbliebenen Dreck in seine kupferroten Haare. »Es gibt hier eine Kaserne, nicht weit vom Schloss«, sagte er.
»Und dann? Sie sperren ihn ein. Und dann?«
Ole zuckte die Achseln. »Mal sehen.«
Jonas verschluckte seine Sorgen.
Auf der Insel gab es kein Unterholz. Die Bäume standen wie Säulen, und als sie bald darauf eine breite, schnurgerade Allee erreichten, kam sich Jonas vor, als bewegte er sich unter einem leuchtend grünen Gewölbe. Die gewaltigen Bäume über ihm steckten die Köpfe zusammen, der Weg, den sie beschirmten, war vor Sauberkeit ganz bleich. Jonas bemerkte einen Pfau, der sein eingefaltetes Rad über den Weg schleppte und dann seitab zwischen den Bäumen verschwand.
»Müssen wir uns eigentlich nicht verstecken?«, fragte er.
Ole rückte seinen Gürtel zurecht. »Da gibt’s nichts zu verstecken«, sagte er. »Du wirst schon sehen. Und dich kennt sowieso keiner.« Ole sagte das nicht ohne Genugtuung. »Wir sind bloß zwei Jungen, verstehst du? Wir würden nichts herausfinden, wenn wir nur durch die Gegend kriechen, damit uns keiner sieht. Außerdem …« Er kratzte sich den Kopf. »Die sind da ziemlich beschäftigt, weißt du? Mit ihren Sachen.«
»Sachen?«
»Ja. Sachen eben.«
Sie gingen weiter die Allee entlang, als würden sie erwartet.
Dann sah Jonas zwischen den Bäumen am Wegesrand etwas Weißes leuchten, und sie verließen den Weg und liefen unter Bäumen, bis sie es erreicht hatten. Es war eine Art Denkmal, allein der Sockel ragte bis über Jonas’ Kopf. Darauf erhob sich ein gewaltiger Vogel aus weißem Marmor, die Flügel noch ausgebreitet, als würde er gerade landen, den Schnabel geöffnet.
»Noch so ein Kanarienvogel«, erklärte Ole abfällig. »Die sind hier überall.«
»Mitten im Wald?«, fragte Jonas ungläubig.
»Das ist kein Wald«, sagte Ole. »Das ist ein Park. Der Schlosspark. Der äußere Teil.«
Jonas starrte zu dem Vogel hinauf. Riesenhaft, wie er war, kam er ihm wie ein Raubtier vor, das auf dem Sockel Beute schlug. Und im ersten Augenblick glaubte er wirklich, es wäre der Vogel, der da so kreischte, aber dann sah er den leuchtenden Flecken Gelb durch den Säulenwald der Bäume auf sie zustürmen, einen prachtvoll gekleideten Mann mit zitronengelbem Rock, wild flatternden Schößen und makellos weißen Kniestrümpfen unter der Kniehose. Auf dem Kopf trug der Mann eine aberwitzige, weiße Perücke.
»Heißa!«, juchzte er und wäre fast vor den Marmorsockel gerannt, hinter dem er jetzt verschwand.
»Haha!«, hörte Jonas es von der anderen Seite meckern. »Haha! Ich hab Euch! Ich hab Euch!«
Und dann kam der Kopf um die Ecke geschossen, die Perücke war verrutscht und hing dem Mann halb über das Ohr. Jonas erkannte das farblos braune Haar und auch den leeren, diesmal ins Irre kippenden Ausdruck im gepuderten Gesicht.
Der Trabant riss den Mund auf, seine Vorfreude verwandelte sich in heillose Überraschung. Er rollte mit den Augen und dann quäkte er los.
»Aber was? Ja, wo steckt er denn dann?« Mit einer fahrigen, aber geübten Geste rückte sich der Trabant die Perücke zurecht. Wie ein Vogel schob er den Kopf vor. »Nein, nein. Die erbliche Majestät sieht ganz anders aus, ganz anders. Sie ist viel größer .« Er verzog die Mundwinkel. »Und auch viel besser frisiert . Ihr müsst«, er hob den Zeigefinger, »zum Hoffriseur, ihr Spitzbuben.« Flink und ungeniert griff er nach Oles kupferrotem Haarwust. »Er soll ondulieren, hört ihr? On - du - lie - ren .« Er malte eine Locke in die Luft, tastete dann noch einmal nach seiner Perücke und wandte sich schließlich ab, als hätte er Jonas und Ole schon vergessen.
»Majestät?«, juchzte er. »Eure erbliche Majestät? Eins, zwei, drei, vier – Ich Komme!«
Das 17. Kapitel
führt das chinesische Hofzeremoniell ein
Im Zickzack tanzte der Trabant über die Allee, die beiden Jungen folgten ihm in sicherem Abstand. Manchmal wickelte sich der Trabant um einen der glatten Stämme am Wegesrand, rief »Huhu!« und »Kuckuck!« und »Hab dich!« in den stillen Wald, und weil die Bäume jedes Mal betreten schwiegen, lief er immer gleich weiter, die Hand auf der Perücke, als bliese sie ihm sonst ein Wind vom Kopf. Sein irres Gekicher begleitete die Jungen den ganzen Weg, und erst als sich die Allee öffnete, begann es sich zu verlieren.
Im ersten Augenblick glaubte Jonas zu träumen, und zwar einen von diesen
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