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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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du ihn gesehen?«
    »Ja«, sagte Jonas. »Nein.« Er war maßlos verwirrt.
    »Also. Wir gehen los, wenn der Kerl mit der Karre ein paar Schritte hinter dem Baum ist und die Frau da gerade umkehrt. Der in dem Boot starrt alle paar Minuten auf den Steg. Aber darum kümmern wir uns später.«
    »Du willst …?« Jonas war entsetzt. Wollte Ole wirklich einfach so über den Platz spazieren?
    »Keine Sorge. Ich hab das schon oft gemacht.« Ole lugte um die Hausecke. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis der Bauer wieder vorbeischob, aber dann zählte Ole »Eins, zwei, drei« und zog Jonas aus der Deckung.
    Es war gespenstisch. Sie gingen über den Platz, als trügen sie eine Tarnkappe. Jonas warf einen Blick zu der Frau hinüber. Zum ersten Mal konnte er sie von der Seite sehen und er erschrak. Im Großen und Ganzen nämlich sah sie genau wie der Bauer aus, das gleiche farblos braune Haar, die gleiche Ausdruckslosigkeit. Wie im Schlaf fegte sie weiter.
    »Jetzt komm schon, du Träumer!«, zischte Ole.
    So leise wie möglich betraten sie den Steg. Wenigstens roch das Wasser nach Wasser, kühl und ein bisschen nach Fisch.
    Ole hatte den Mann im Boot fest im Blick. Er schien sich über ein Netz zu beugen, das ein Stück weit aus seinem Ruderboot hing, und Jonas fand seine schlimmste Befürchtung bestätigt – der Fischer sah aus wie die Frau, die wie der Bauer aussah, auch wenn sich nur schwer sagen ließ, wie. Nur das blaue Fischerhemd und sein rotes Halstuch unterschieden ihn.
    »Wir nehmen das da.« Ole kauerte sich auf den Steg und rutschte, die Beine voraus, in eines der Ruderboote. Er löste schon das Tau, als Jonas ihm folgte. Das Boot schwankte. »Runter!« Ole drückte Jonas’ Kopf unter den Steg. Der See gluckerte und schmatzte.
    »Jetzt guckt er«, flüsterte Ole. Dann ließ er Jonas wieder los, hockte sich auf die Ruderbank und schnallte den Rucksack ab.
    Jonas kauerte sich in den Bug, den Kopf noch immer eingezogen. Er linste zur Insel hinüber. Es war ein ganzes Stück bis dorthin.
    Ole legte sich in die Riemen. Von den Ruderblättern triefte das Wasser, platschend tauchte das Holz in den See.
    Jonas sah zum Ufer zurück. Schlag für Schlag entfernte es sich, erst langsam, dann, sobald Ole seinen Rhythmus gefunden hatte und das Boot Fahrt aufnahm, immer schneller. Die Frau fegte ungerührt weiter, der Bauer schob seine Karre, der Fischer war hinter dem Steg nicht zu sehen. Aus sicherem Abstand taten die drei Jonas leid. Sie waren ja schlimmer dran als er – so ganz ohne Namen. Er tauchte seine Hand ins Wasser und stellte sich vor, dass die Frau vor dem Haus Mathilde hieß, nein, Tilla, und dass der Fischer, Bror, sieben Kinder hatte, die er sonntags vor dem Frühstück wie die Orgelpfeifen aufstellte. Er stellte sich vor, dass Tillas Vetter Kolman der Dorfälteste war, Kolman mit dem wüsten Bart, der so gern Karamell aß und für den Tilla, wenn er zu Besuch kam, Butter und Zucker und eine Pfanne bereitstellte. Jonas’ Hand durchschnitt das Wasser. Der Bauer hieß Arne und würde seine Karre mit roter Farbe streichen, und wenn es dunkel würde und die Karre vor seinem Häuschen trocknete, würde er, wie immer, das Schnitzmesser hervorholen und die kleinen Figuren schnitzen, mit denen die sieben Kinder von Bror so gerne spielten. Und … ja! … war es nicht Bror gewesen, der den Wieflinger gefunden hatte? Am Ufer? Nach dem Sturm über dem See? Aber wie kam er jetzt eigentlich auf den …
    »Jonas?«, fragte Ole. »Hörst du mich, Jonas Nichts?«
    Mit einem Knirschen lief der Bug am Inselufer auf. Über die fette, mit Steinen gespickte Ufererde beugten sich prachtvolle Bäume. Nicht einmal in ihrem Schatten war es kühl, nur sehr angenehm. Eine Brise kräuselte jetzt den See, das Laub streichelte den Tag, die Kanarienvögel schwatzten. Am anderen Ufer war das Trabantendorf jetzt so klein wie Spielzeug.
    Ole sprang über Jonas hinweg aus dem Boot. »Besser, wir tarnen es ein bisschen«, murmelte er und verschwand zwischen den Bäumen. Als Jonas an Land kletterte, hörte er Ole schon Zweige und Äste abbrechen, und während er durch die seltsam geraden Reihen der Bäume etwas mehr von der Insel zu erhaschen versuchte, wuchtete Ole das Boot schon an Land und bedeckte es raschelnd mit Blättern. Die Insel war so lau und schön, dass sich Jonas kaum vorstellen konnte, wie hier ein Gefangener hingebracht wurde. Wie es Ruben bloß ging?
    »Ole?«
    Ole rieb sich gerade die Hände. Das Boot war nicht unsichtbar,

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