Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
Kanaria passte.
Denn wer sich im Park tummelte, trug das Kostüm des Trabanten, dem sie auf der Allee begegnet waren – weiße Perücken, zitronengelbe Röcke und Kniehosen, dazu Kniestrümpfe und Schnallenschuhe. Jonas hatte den kichernden, kieksenden Kerl natürlich lange aus den Augen verloren, aber ohnehin schien es ihn dutzendfach zu geben. Auf jedem Weg stand, stolperte, stöberte seinesgleichen. Manche Trabanten krochen unter den aufgeputzten Hecken und Buchsbäumen herum, andere staksten durch die Blumenrabatten, den Blick gesenkt, als hätten sie dort etwas verloren, und einer von ihnen war eben erst durch das flache Auffangbecken eines Brunnens gewatet und mühte sich nun mit vom Wasser durchsichtigen Strümpfen, einen Elefanten aus Marmor zu besteigen.
Hörte man genauer hin, dann klangen die Rufe der Trabanten durch die Wassermusik bis zu Jonas und Ole herüber.
»Ich hab ihn, ich hab ihn!«
»Habt Ihr ihn?«
»Eure erbliche Majestät?«
»Huhu!«
»Huhu?«
»Was …?«, fragte Jonas, aber Ole hatte ihn schon sanft angeschoben, und dann taten sie den ersten Schritt in dieses seltsame Paradies. Wären Jonas’ Sorgen kleiner gewesen, sein Staunen wäre ihm angenehm gewesen – warm wie Wasser im Sommer und sattgelb wie dann das Licht.
Auf geradem Weg – soweit die verschlungenen Pfade das zuließen – steuerten sie auf das Schloss zu und mit jedem Schritt wurde es größer. Sie gingen an den Kegeln, Kugeln, Rabatten vorbei, auf Höhe der Brunnen traf das Sprühwasser auf ihre Haut, und zwei-, dreimal wichen sie einem heranstürmenden Trabanten aus. Glucksend war er auf heißer Spur – auf welcher auch immer.
Schließlich erklommen sie die von der Sonne warmen Stufen der fließenden Treppe. Vom milchigen Schleier der Gischt befreit, strahlte Kanaria noch goldener. Der nächste Trabant stürmte ihnen entgegen, verlor seine Perücke, rief »Hoppla!« und machte kehrt, um sie wieder aufzulesen. Heillos glücklich strahlte er die Jungen an, um sie gleich darauf zu vergessen. »Hier bin ich! Hier bin ich!« rufend, verwandelte er sich zwischen den Wasserschleiern bald darauf in einen ziellos umhertaumelnden Zitronenfalter.
Ole sah ihm belustigt nach. »Weißt du, was sie hier spielen?«, fragte er.
Jonas zuckte ratlos mit den Schultern. » Fangen? «
»Nein.« Ole grinste sein Ole-Grinsen. Er wandte sich um und sah wieder die Stufen hinauf, über deren oberstem Rand das Schloss thronte. »Sie spielen Verstecken . Ehrlich.«
Stirnrunzelnd nahm Jonas die letzten Stufen. Sie hatten den äußersten Rand der ausladenden Terrasse erreicht. Hier oben waren noch mehr Trabanten als im Park, es wimmelte geradezu von ihnen. Aufgeregt liefen sie umher, stießen sich an und manchmal auch um oder packten einander kichernd an den Schultern und glucksten ihr ewiges »Habt Ihr ihn gesehen? Habt Ihr ihn gesehen?«. Für Jonas und Ole hatten sie überhaupt keine Zeit.
»Wen suchen sie denn?«, fragte Jonas, während Ole ihnen einen Weg bis in die Mitte der Terrasse bahnte.
Aber Ole grinste nur wieder, bis Jonas halbwegs freie Sicht auf eine von Palmen umstandene, dick gepolsterte, mit zahllosen goldenen Troddeln verzierte Ottomane hatte, gleich vor den weit offen stehenden Terrassentüren unterhalb des großen Balkons.
Auf der Ottomane lag ein junger Mann. Er trug einen prächtigen, tressenbesetzten Uniformrock, und seine langen Beine steckten in weißen, engen Reithosen und glänzend schwarzen Stiefeln, die ihm bis über die Knie reichten. Seinen eher kleinen Kopf schmückten so sorgfältig frisierte Haare, dass die Locken über seiner Stirn anzubranden schienen wie ein schwarzes, glänzendes Meer. Gleich vier eifrige Trabanten fächelten ihm mit Palmwedeln Luft zu, aber der junge Mann wirkte dennoch missmutig, gelangweilt und erschöpft. Den irrlichternden Trabanten um ihn herum folgte er kaum mit einem halben Auge.
» Ihn suchen sie«, sagte Ole Mond und tippte mit seinem schmutzigen Zeigefinger in Richtung der prachtvollen Ottomane. »Das ist der Erbprinz. Leopold.«
Jonas musste sich erst sammeln. Erbprinz war ein großes Wort. Aber dann musste er doch fragen. »Ihn? Aber … Aber er … Sie haben ihn doch schon gefunden. Ich meine, er ist doch da. Er hat sich doch gar nicht versteckt.«
Ausgerechnet in diesem Augenblick stolperte ein Trabant über die Ottomane und stürzte. Aber der Erbprinz nahm es nicht einmal zur Kenntnis und der Trabant rappelte sich auch gleich wieder auf und eilte mit
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