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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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einmal einen verächtlichen Zug um den Mund. Mit seinem schäbigen Mantel, die Finger unter die Riemen seines Rucksacks geklemmt, schlenderte er durch den Park, als könnte er einstecken, was immer er wolle – hier einen Marmorflügel abbrechen, dort eine krallenbewehrte Tatze. Nur einmal sah er zum Schloss zurück, und Jonas war, als suchte er ein bestimmtes Fenster. Ole hob sogar die Hand, aber womöglich nur, um nach seinem kleinen Ohrring zu tasten.
    »Ole?«
    »Hm?«
    »Wo gehen wir jetzt hin?«
    Aber Ole Mond war maulfaul. »Da drüben ist die Kaserne«, murmelte er bloß. »Mal sehen.«
    Schließlich verließen sie den Schlossgarten und liefen im Schatten einer anderen Allee weiter. Der Weg war so sauber und bleich wie der, den sie gekommen waren, nur stürmte diesmal kein kichernder Trabant voran. Selbst das Tirili der Kanarien klang jetzt matt. Vielleicht sangen sich die Vögel, vom Tag erschöpft, schon in den Schlaf.
    »Was genau ist ein Erbprinz, Ole?« Jonas hatte Mühe, mit Ole Schritt zu halten.
    »Ein Prinz, der erbt«, sagte Ole. »Irgendwann. Was sonst?«
    » Was erbt?«, fragte Jonas.
    Ole fuhr sich durchs Haar. »Alles. Kanaria. Das Schloss. Die Trabanten. Dich. Wenn du dich für einen Untertan hältst, heißt das.«
    Jonas dachte immer noch an Ruben. »Ich bin kein Untertan«, murmelte er und tastete in seiner Hosentasche nach den Zetteln, die Ruben ihm geschrieben hatte. Ich beschütze dich , stand auf einem von ihnen. Das sollte auch andersherum gelten.
    »Gut«, sagte Ole und schritt aus. »Ich bin auch kein Untertan.«
    »Ich meine …« Jonas setzte noch einmal an. »Ist Leopold der Sohn der Kaiserin?«
    Ole blieb abrupt stehen und sah ihn an. »Das ist alles viel komplizierter, als du denkst«, sagte er. » Viel komplizierter. Ich schlage vor, wir sehen nach deinem Freund und du kümmerst dich nicht um den Rest. Was hältst du davon?«
    Jonas nickte. Er gehörte nicht hierher. Er hatte verstanden. Es hätte ihn erleichtern können, aber es beschämte und verletzte ihn zugleich.
    Ole schien das zu spüren. »Tut mir leid«, sagte er und klang plötzlich weniger unwirsch. »Irgendwann kriege ich in Kanaria immer schlechte Laune.«
    Jonas sah ihn fragend an.
    »Ist halt so«, sagte Ole Mond. »Hat viele Gründe.« Er legte Jonas einen Arm um die Schulter. »Wenn dein Onkel erst frei ist und du noch in deinen Schrank oder deinen Traum oder wohin auch immer zurückkannst, dann tust du’s, ja? Ist kein guter Ort hier.« Er schüttelte den Kopf, das Gesicht vielleicht noch eine Spur blasser als sonst.
    Dann gingen sie weiter, und weil Jonas, verlegen, wie er war, nicht wusste, wohin er schauen sollte, schaute er in den Wald. Einmal blitzte weiß ein Denkmal zwischen den Bäumen auf, ein anderes Mal öffnete ein Stamm am Wegesrand sein Auge.
    Was?
    Jonas blieb stocksteif stehen und starrte auf den Stamm. Die Borke war uneben und rau, gewöhnliche Rinde. Und doch hätte Jonas geschworen, dass sich dort gerade eben noch ein Lid gehoben und ein blankes, dunkles Auge freigegeben hatte. Der Baum hatte ihn angesehen! Oder besser – das Auge im Baum hatte ihn angesehen! Es hatte ihm sogar nach gesehen! Aber jetzt war da nichts mehr. Bloß ein Baum mit fingerdicker Rinde.
    »Jonas?« Ole stand mitten auf der Allee, schon zehn, zwanzig Schritte entfernt. »Was tust du da?«
    »Ich …« Jonas sah noch einmal auf den Baum. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf. Er war müde. Er war sogar sehr müde. »Ich komme schon!«, rief er und schloss schnell zu Ole auf.
    Die Kaserne war ein kastenförmiger, sandfarbener Bau mit gemeinen kleinen Fenstern. Über den tristen, gepflasterten Platz vor dem Portal senkte sich bereits die Dämmerung. Jonas und Ole hatten die Rufe schon von weitem gehört.
    »Richt euch!«
    »Die Augen links!«
    »Die Augen rechts!«
    »Nach links schwenkt … um!«
    Dann, als sie das Ende der Allee erreicht hatten, sahen sie, wem die Kommandos galten. Eine Abteilung Soldaten stand stramm auf dem weiten Platz, sorgsam zu einem Viereck aus Leibern sortiert, den Blick unverwandt auf den General Grimbert gerichtet. Gewaltig und steif stand der da, so breit, so unerschütterlich, so fest verwurzelt wie ein Baum. Die Soldaten in ihren gelben Röcken hätten Herbstblätter sein können, die er soeben abgeworfen hatte.
    »In einer Linie … ANGETRETEN!«, rief der General.
    Die Trabanten in ihren gelben Uniformen lösten sich voneinander und standen bald darauf in einer schnurgeraden Linie vor

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