Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
einen schönen, prachtvoll gezäumten Schimmel. Er drehte und wendete ihn in den Fingern und klopfte sogar auf die Unterseite des Podests.
»Mir scheinen sie ganz gewöhnlich«, sagte er dann. »Spielzeug, altes, schönes Spielzeug. Aber ich glaube nicht, dass etwas darin versteckt ist.«
Er stellte den türkischen Reiter zurück auf die Tischplatte und nahm sich die nächste Figur. Ihre Pastellfarben leuchteten gelb und rosa und hellblau.
»Sehr fein gearbeitet, wirklich.« Die Figur hatte die Arme verschränkt und einen Fuß auf einen winzigen Stein gestellt. Vor ihr stand ein dreibeiniges Stativ, das der Advokat jetzt befingerte. »Dieser hier hat ein Fernrohr, nicht wahr?«
»Ein Fernrohr?« Tabbi wandte sich um. Ihre Hände waren nass. »Ja, vielleicht«, sagte sie. »Und dann sind da noch ein König und ein Soldat und ein Junge. Eigentlich hat Jonas aber einen Puppenspieler gesucht. Nach dem hat er immer wieder gefragt. Wissen Sie, Herr Doktor, in der Bibliothek hängt ein Porträt von Clara als Kind. Und auf diesem Bild ist so ein kleiner Puppenspieler zu sehen. Nicht, dass ich es ohne Jonas erkannt hätte. Es ist so klein! Auf dem Bild.« Mit ihren nassen Fingern zeigte sie einen winzigen Abstand. »Der Junge hat noch gute Augen.« Dann griff sie nach einem Trockentuch.
Peregrin Aber stellte auch den Mann mit dem Fernrohr zurück neben den Teller. Er zuckte ratlos die Achseln. Diese Sonneberger Figuren brachten sie keinen Schritt weiter.
»Der Junge muss den Koffer gestern versteckt haben, Herr Doktor«, sagte Tabbi. »Heimlich. Ich habe es Ihnen geschrieben – für einen kurzen Augenblick ist er uns entwischt und dann haben wir ihn in der Küche wiedergefunden. Da muss er den Koffer versteckt haben. Er hatte bestimmt einen Grund dafür, Herr Doktor! Selbst wenn er ihn gar nicht kannte, den Grund.«
Peregrin Aber brummte etwas Unverständliches. Wer seine Gründe nicht kannte, hatte auch keine. Das war seine Meinung. Er starrte noch eine Weile auf die bunten Figuren und zog dann den schäbigen kleinen Pappkoffer zu sich heran. Diese Magd hatte ihn dem Jungen geschenkt, Elsa, er erinnerte sich wohl. Ohne große Hoffnung machte er sich daran, das Köfferchen zu untersuchen.
»Tabbi? Was ist das?« Der Advokat hielt einen kleinen Kiesel in die Höhe. »Der war auch im Koffer«, sagte er.
Tabbi trat einen Schritt näher. »Das ist der Stein, mit dem der Junge immer gespielt hat«, erklärte sie. »Haben Sie ihn nie damit gesehen?«
Peregrin Aber schüttelte den Kopf. Auf was sollte er, bitteschön, denn alles achten?
»Oben in seinem Zimmer hat er ihn immer über den Teppich geschoben.« Tabbi ordnete sich das Haar. Dann begann sie, die Figuren sorgsam in Papier einzuwickeln – Peregrin Aber erkannte seine alte Zeitung. Schließlich verstaute Tabbi das Spielzeug wieder in dem kleinen Koffer. Offensichtlich rechnete sie nicht damit, dass Peregrin Aber noch viel zu ihm einfiele.
Der Advokat gab ihr den Kiesel, dann schloss Tabbi den Deckel.
»Wir müssen ins Spielzimmer, Herr Doktor. Bei Gott! Ich schwöre, da hat das Rätsel seinen Ursprung. Denken Sie doch nur an die langen Tage, die Alma und Irmingast verschwunden waren!«
Peregrin Aber nickte wiederum, diesmal wie unter Schmerzen, und griff sehr langsam nach seinem Zylinder. Humbug, dachte er und fügte sich doch ins Unvermeidliche. »Das Spielzimmer ist in diesem garstigen Turm, richtig?«, murmelte er und Tabbi nickte. »Ich dachte es mir«, brummelte er. Dann setzte er endlich den Zylinder auf und strich sich nachdenklich den Bart. »Gut, Tabbi, gehen wir. Aber lassen Sie um Himmels willen diese Flinte hier. Ich möchte nicht, dass Sie versehentlich eine Puppe niederschießen.«
Draußen im Hof herrschte finsterste Nacht, die kleinen Stunden vor dem winterlichen Morgengrauen waren die dunkelsten. Es war bitterkalt und der Weg zum Turm war glatt überfroren. Tabbi und der Advokat hielten sich schlitternd aneinander fest. Der Turm selbst sah aus wie ein alter Zahn in einem schwarzen Rachen.
»Achten Sie auf die Stufen, Herr Doktor!«, flüsterte Tabbi und leuchtete gewissenhaft mit ihrer Laterne. In der anderen Hand hielt sie Jonas’ Köfferchen mit den Figuren. Peregrin Aber hatte nicht einmal versucht, es ihr auszureden.
»Was für ein scheußliches Gebäude!«, murmelte er, als er auf den Stufen vergebens nach einem Geländer tastete. Er wünschte sich Tageslicht. Er wünschte sich in seine Kanzlei!
Dann ruderte er unvermittelt mit den
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