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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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Armen. Beinahe wäre er gestürzt.
    »Hier hinein, Herr Doktor!«
    Die Tür zum Turm war aufgeschwungen und das Licht der Laterne irrte über unverputzte Wände. Die Luft drinnen war zugleich stickig und kalt. Peregrin Aber japste.
    Den Weg die Wendeltreppe hinauf hielt er Tabbis kräftige Finger, mit der anderen Hand stützte er sich an der Wand ab. Immer wieder schlug sein Stock dabei dumpf gegen das Gemäuer.
    Dann endlich hatten sie einen Treppenabsatz erreicht. Das Licht fiel auf eine schäbige Tür.
    »Hier muss es sein«, flüsterte die Köchin.
    Peregrin Aber schüttelte den Kopf. Nicht weil er Zweifel hatte, eher um den Kopf zu schütteln. Menschen wie er schüttelten in einer Lage wie dieser einfach den Kopf. So drückten sie ihr Missfallen aus, und genau genommen tat Peregrin Aber, indem er den Kopf schüttelte, sogar so, als wäre er ganz woanders.
    Tabbi öffnete die Tür trotzdem.
    Peregrin Aber hatte ihre Hand losgelassen. Nur mit größtem Widerwillen folgte er ihr über die Schwelle.
    Viel gab Tabbis Laterne nicht her, aber doch genug für ein Bild der Verwahrlosung. Nackte Regalbretter an nackten Wänden, darauf schimmelndes Spielzeug und wallender Staub. Das Licht streifte ein leeres Puppenauge, die verbeulten Überbleibsel einer Kinderküche, kleine Töpfe, kleine Kessel, einen lädierten Nussknacker. Kaum vorstellbar, dass jemand hier Stunden oder gar Tage verbracht haben sollte.
    Peregrin Aber schüttelte wieder den Kopf, diesmal ungläubig. Sie waren auf der falschen Fährte. Die ganze Spielzimmer-Geschichte war ein bloßes Märchen.
    Im Halbdunkel stieß er gegen ein Spielzeugpferd, dessen Räder wimmerten. Wahrscheinlich drehten sie sich seit hundert Jahren zum ersten Mal.
    »Schauen Sie, Herr Doktor. Eine Krippe.« Im Kegel von Tabbis Laterne erschien ein offener Stall, nicht größer als Peregrin Abers Zylinder. Von einem geschnitzten Ochsen platzte die braune Farbe, der Esel fehlte. Ein einsamer Josef war umgefallen. In der Krippe lag ein winziges milchweißes Jesuskind, das der Advokat gedankenverloren betrachtete, bis der Lichtschein weiterzog.
    »Hier klappert doch etwas. Hören Sie das nicht auch, Herr Doktor?« Tabbi machte ein paar Schritte, nicht weit von ihr erkannte Peregrin Aber einen großen, alten, dunklen Schrank. In einer übrig gebliebenen Spiegelscherbe blitzte das Licht.
    Dann ging die Köchin in die Knie.
    »Schauen Sie mal!«
    Peregrin Aber kam näher und hockte sich mühsam hin. Tabbi hatte die Laterne auf ein Stück Bastelbogen gerichtet, das auf dem zerschlissenen Teppich lag. Zwischen den darauf gemalten Kleidern, die niemand mehr ausgeschnitten hatte, war eine Fußspur zu erkennen, schwach, aber doch. Der Schuh eines großen Mannes hatte auf dem Papier seinen feuchten Abdruck hinterlassen.
    »Irmingast!«, flüsterte Tabbi.
    Peregrin Aber dachte angestrengt nach. »Oder Ruben«, sagte er schließlich. Er blinzelte in die Richtung, in die der Abdruck wies. Sein Blick fiel auf den Schrank. Aus der Ritze zwischen seinen Türen drang ein eigenartiger Schimmer. Und jetzt hörte Peregrin Aber es auch – leise schlugen die Schranktüren aneinander.
    Der Advokat erhob sich. Er tat einen Schritt, dann noch einen und noch einen. Er fasste nach dem Schlüssel im Schloss, aber der Schrank war gar nicht verschlossen. Einen Augenblick rieben sich die Türen aneinander, dann schwangen sie auf.
    Peregrin Aber entfuhr ein Laut fast kindlicher Überraschung. Er sah auf eine Wiese im tintig blauen Licht eines unmöglichen Sommermorgens. Im Schrank ging die Nacht zu Ende, in einem fernen Winkel des Horizonts erschien der noch schwache Schein einer apfelsinenfarbenen Sonne. Peregrin Aber spürte, wie ein angenehmer Wind seine Nase kitzelte. Er hielt sich den Zylinder wie ein Mann im Sturm.

Das 21. Kapitel
Kleine Geschichte Kanarias, erster Teil
    Jonas stand am Ufer. Die Nacht war blau, der See spiegelte unbestimmte Lichter. Ruben wartete auf der anderen Seite, sein Hemd ein heller Fleck. Ich komme, wollte Jonas rufen, aber er konnte weder rufen noch kommen. Nur Ole konnte.
    Ole setzte einen Fuß auf den See und ging übers Wasser. Tropfen perlten von seinen Schuhen.
    Jonas blieb zurück, als hätten sie ihn vergessen. In seiner Brust wurde es eng. Dann spürte er, wie ihn jemand an der Schulter berührte. Es war nicht nötig, sich umzusehen, er wusste es so – der Wieflinger war gekommen. Der Wieflinger, Tilla, Kolman, Arne und Bror. Wie anders sie jetzt waren! Gar nicht mehr wie

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