Die unwillige Braut (German Edition)
war ihre Zeit gekommen.
Das Tageslicht in der Halle kam durch quadratische Löcher hoch oben in den Wänden, die mit hölzernen Läden verschlossen werden konnten. Neben dem König standen auf Holzbalken zusätzliche Lampen, und im Schein dieses Lichts sah sie jetzt den Mann, den sie unter vier Augen hatte sprechen wollen: Erzbischof Thomas of York. An seiner Seite stand eine Frau, abgesehen von ihr selbst und Els das einzige weibliche Wesen in der weitläufigen Halle.
"Ihr!" flüsterte Rhoese. Es war Ketti, ihre Stiefmutter, die nicht einmal von einer Magd begleitet wurde. Tief in ihrem Innern verhärtete sich etwas, als sie erkannte, dass aus dieser Begegnung nichts Gutes erwachsen konnte, während Verwirrung, Verzweiflung und eine düstere Vorahnung alle Worte auslöschten, die sie sich zurechtgelegt hatte.
Schon nach einem Jahr hatte der neue König sich den Ruf erworben, stets so plötzlich auf das Wesentliche zu sprechen zu kommen, dass die meisten Leute gar nicht so schnell begriffen, auf was sie sich da eingelassen hatten. Rhoese erging es nicht anders, und die unangenehm krächzende Stimme, bei der sie sich sehr konzentrieren musste, um die Worte überhaupt zu verstehen, machten es ihr nicht leichter. "Lord Gamals Tochter!" brüllte er, stand auf und trat vor sie wie ein Kettenhund, den man freigelassen hatte. Er war stämmig und untersetzt, mit breitem Hals und rotem Gesicht.
"Jawohl, Majestät." Seine Augen waren seltsam, eines braun, das andere blaugrün. Rasch senkte sie den Blick.
"Nun, ich habe den Besitz Eures Vaters eingefordert, und das ist es. Wenn ich mich nicht darauf verlassen kann, dass meine Pächter mir Männer zur Verfügung stellen, wenn ich sie brauche, dann gebe ich den Boden weiter an solche, die das können." Er sah sich um, zufrieden mit seiner Zusammenfassung. "Im letzten Jahr, so sagte man mir, hat er nicht einmal drei Handelsschiffe auf seine eigenen Kosten entsandt, das ist ein weiteres Vergehen." Diesmal sah er direkt hinüber zu Ketti.
Gegen jedes Protokoll unterbrach Rhoese ihn, ohne dazu aufgefordert zu sein. "Mein Vater … er starb … er fiel über Bord. Dies sind doch gewiss besondere Umstände."
"Besondere was?" fuhr der König sie an, und sein Gesicht wurde noch roter.
In der Halle wurde es vollkommen still.
"Besondere Umstände, Sir", wiederholte Rhoese.
Plötzlich vernahm sie ein Geräusch und bemerkte eine Bewegung, als der Erzbischof ins Licht trat. Ein Sonnenstrahl fiel auf seine goldene Tunika. "Für solche Erklärungen ist es zu spät, Mylady", flüsterte er ihr ins Ohr. "Lady Ketti hat Seiner Majestät dies bereits berichtet. Ihr seid hier, um ihr in diesen schweren Zeiten zu helfen. Sie wird ein Zuhause brauchen, das versteht Ihr doch. Habe ich nicht Recht?" Er hielt ihr seine Hand hin, damit sie seinen Ring küsste.
Erzbischof Thomas hatte ihren Vater gut gekannt. Der Yorker Handelsmann hatte seltene Kostbarkeiten mitgebracht, Felle, Falken, Walfischbein und Wein zum Ergötzen des normannischen Kirchenmannes, und sie hatten einander vertraut. Zweifellos glaubte der Erzbischof, diese Gefälligkeiten zu erwidern, indem er Gamals Witwe behilflich war, nachdem man ihr das Heim fort genommen hatte. Ja, sie würde ein Dach über dem Kopf brauchen. Rhoeses Dach.
Rhoese warf einen Blick hinüber zu ihrer Stiefmutter, die dezent in Grau gekleidet war, ohne den Hauch von Schmuck, das böse kleine Gesicht ein wahres Abbild von Bescheidenheit. Mit den Händen hielt sie fest einen Rosenkranz aus Jettperlen und Elfenbein umklammert, der, wie Rhoese wusste, nicht ihr schönster war. Es war klug von ihr gewesen, den Erzbischof aufzusuchen, zum einen, um ihn an den Reichtum ihres Mündels Rhoese zu erinnern, zum anderen, weil ihre Stieftochter ihr die Freundschaft verweigert hatte, als sie, Ketti, sie am meisten brauchte. Ihre Blicke begegneten sich, und unter der Mitleid erregenden Maske erkannte Rhoese Boshaftigkeit und Eifersucht. "Meine Stiefmutter hat eine große Familie, Mylord", erklärte Rhoese und bemerkte selbst, wie herzlos ihre Bemerkung in der stillen Halle klang.
"Die lebt aber in Dänemark, Frau", brüllte der König. "Und außerdem ist es höchste Zeit, dass Ihr heiratet."
Rhoese runzelte die Stirn. Die genaue Bedeutung dieser Bemerkung erfasste sie nicht. Sie fühlte den festen Griff von Els' Hand, dann drehte sie sich um und warf einen Blick zurück, um festzustellen, ob der Ritter sie inzwischen ihrem Schicksal überlassen hatte. Erleichtert
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