Die unwillige Braut (German Edition)
ebenso wie alle anderen, aber er seufzte nur und schüttelte sein dunkles Haupt. "Nicht das ist es, was mir Sorgen bereitet, Mylady, jedenfalls nicht so sehr wie die ewige Frage nach dem Täter. Ihr wisst, wie die Normannen solche Dinge zu regeln pflegen, oder?" Als sie den Kopf schüttelte, fuhr er fort: "Nun, wenn ein Normanne getötet wird, vermuten sie stets einen Engländer als Schuldigen, bis die Männer der Einhundert den Schuldigen und die Beweise erbringen können. Und bis dahin müssen die Einhundert allerhand erleiden. Sie werden versuchen, den Mörder so schnell wie möglich zu finden, und wenn ihnen das nicht gelingt, dann wenigstens irgendeinen, der sich nicht wehren kann. Habt Ihr in der Nacht irgendetwas gehört?"
"Nur die üblichen Geräusche, nichts Besonderes. Was ist mit Warin, Bruder? Meint Ihr, sie werden ihn darüber befragen?"
Bruder Alaric schnaubte, verkniff sich dann aber ein höhnisches Gelächter. "Warin", sagte er abschätzig, "und was glaubt Ihr, wird er sagen, wo er die Nacht verbracht hat?" Er sah sie an und las die Antwort aus ihrem Gesicht ab. "Richtig. Keine Angst, Lady Ketti und ihre Familie werden ihm beistehen. Ihm werden sie nichts anhängen, auch wenn wir alle erklären, wo er gewesen ist. Keine Chance."
"Wer dann?" flüsterte sie furchtsam.
Er sah auf und bemerkte, dass sich der hochgewachsene Captain ihnen näherte. "Genau das möchte der da wissen, wenn ich mich nicht täusche. Ich werde Euch jetzt verlassen, Mylady."
"Nein, bleibt!" Aber der Geistliche war schon außer Hörweite, um dem Mann Platz zu machen, den sie kurz vor dem Einschlafen Jude genannt hatte. Ehe er etwas sagen konnte, ergriff sie das Wort: "Ihr glaubt, ich bin es gewesen, weil er mit dem Dolch meines Bruders in meiner Kemenate gefunden wurde. Aber ich war es nicht. Heute Nacht habe ich hier geschlafen. Meine Kemenate war leer."
Während sie sprach, nahm er seinen Helm ab und hielt ihn in der Armbeuge. Sein Haar fiel ihm gerade wie Speerspitzen ins Gesicht, wie bei einem Kind, das gebadet hatte. Seine Augen waren hart, seine Miene wirkte undurchdringlich, bis er den Blick rasch über ihren alten Kittel hatte gleiten lassen und ihr dann ins Gesicht sah. Da wusste sie, woran er dachte, und daran konnten auch seine Worte nichts ändern. "Was ich denke, Mylady, ist Folgendes", sagte er leise, "dass es für die Männer dieser Einhundert besser wäre, Ihr hättet es getan, denn das wäre doch wahrscheinlich Notwehr gewesen, oder? Er war in Eurer Kemenate. In der Nacht. Und der Dolch Eures Bruders wurde benutzt. Wollt Ihr Eure Klage noch ändern? Es gibt keine Strafe für eine Frau, die in ihrem eigenen Haus einen Mann umbringt, der ihr Gewalt antun will, das wisst Ihr, auch wenn Ihr beweisen müsstet, dass Ihr ihn nicht eingeladen habt."
"Ihn eingeladen? Einen Normannen? Dieses … dieses Tier?" fuhr sie ihn an. "Ihr glaubt mir nicht, oder? Warum sprecht Ihr es nicht einfach aus? Ihr glaubt mir nicht!"
Er legte einen Arm um ihren Rücken und schob sie aus der Halle in den Hof hinaus, wo eine weiße Ziege stand, die brüllte, weil sie gemolken werden musste. Die Tür zur Kemenate stand offen, niemand war zu sehen, der Weg dorthin aber war zertrampelt von vielen Tritten. Er drehte sie um, so dass sie sich an die Wand lehnen musste, und sie erzitterte vor Ablehnung und Erwartung, als er mit der Hand ihren Arm berührte. Nach englischem Recht durfte kein Mann den Arm einer Frau berühren, wenn sie es nicht wollte.
"Rhoese of York", erklärte er, "es spielt keine Rolle, ob ich Euch glaube oder nicht. Entscheidend ist, wen die Einhundert einsperren werden. Ja", entgegnete er, als sie ihn überrascht ansah. "Ich weiß genug über Eure Gesetze hier in Yorkshire und das System der Einhundert. Ich lebe schon länger in diesem Land, als Ihr glaubt. Und wenn Ihr auch glaubt, dass sie Euch wegen dieses Verbrechens nicht einsperren werden, so werden sie es doch tun, wenn sie niemand sonst finden, dem sie es anlasten können. Sie werden nicht dafür büßen wollen, dass sie Eure Haut retten oder die von irgendjemandem aus Eurem Haushalt."
Rasch durchdachte sie die Möglichkeiten, versuchte dabei jene zu ignorieren, die ihr immer wieder in den Sinn kam, den Gedanken an Rache. Jene Rache, die ihre Bitterkeit versüßen würde. Erzähl ihm von Warin. Erzähl ihm, dass er den Plan des Königs kannte, sie mit Ralph de Lessay zu vermählen, dass er ihn gefunden, ihn getötet und ihn dann in ihre Kemenate gelegt hat. Nein,
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