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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Strecke war weit. Außerdem hatte ich gehört, dass es in der Bucht gefährliche Unterströmungen und Strudel gab.« Er schaute auf. »Wegen des vulkanischen Ursprungs der Inselgruppe«, sagte er erklärend. »Aber sie lachte nur, trat an den Felsrand, beugte sich vor und hob die Arme. Ich weiß noch, dass ich stolz war auf ihren graziösen, fehlerlosen Körper in dem knappen schwarzen Badeanzug, auf dieses Geschenk, das sie mir gemacht hatte, nur mir, und dass ich dachte, was für ein Glück es war, mit einer solchen Frau zu leben. In einem eleganten Bogen sprang sie kopfüber ins Wasser, das heftig an die Felsen schlug. Ich sah zu, wie sie sich von mir entfernte, immer kleiner wurde. Dann schwamm sie um die Felswand herum, und ich verlor sie aus den Augen.«
    Er senkte den Kopf und begann lautlos zu weinen. Eine Träne hing an seiner Nasenspitze und tropfte ins Weinglas. Beinahe hätte ich dem Impuls nachgegeben, aufzustehen und ihm den Arm um die Schultern zu legen. Mit ihm um Regina zu weinen. Aber ich hielt mich zurück. Nach einer Weile richtete er sich wieder auf.
    »Es war das letzte Mal, dass ich sie sah. Bis heute weiß ich nicht genau, was passiert ist.«
    »Was hast du unternommen?«
    »Zunächst gar nichts«, sagte er. »Ich habe stundenlang auf ihre Rückkehr gewartet. Am späten Nachmittag ging ich den langen Weg um die Bucht herum, bis hinaus zu dem Felsvorsprung am anderen Ende, zu dem sie hatte schwimmen wollen. Nirgends eine Spur von ihr. Dann kehrte ich zurück zur Pension, aber auch dort war sie nicht. Ich suchte im Ort nach ihr, in dem Restaurant, in dem wir manchmal aßen, in der Eisdiele, den kleinen Boutiquen, ging zum Hafen hinunter, zu den Fährschiffen, den Schnellbooten, die zwischen Neapel und Procida verkehren, und hinaus auf die Mole. Nichts. Schließlich beschloss ich, Ruhe zu bewahren und die Nacht abzuwarten. Sicher würde sie in den nächsten Stunden auftauchen, sicher gab es eine einfache Erklärung für ihre Abwesenheit. Aber das ungute Gefühl, das mich in dem Augenblick überkommen hatte, als sie hinter den Felsen verschwunden war, ließ sich nicht verscheuchen.«
    Stefan seufzte, stützte die Ellbogen auf den Knien auf und nahm den Kopf zwischen die Hände.
    »Es wurde die längste Nacht meines Lebens. Als Regina am Morgen noch immer nicht zurück war, meldete ich sie bei der lokalen Polizei als vermisst.«
    »Und dann?«
    »Die Wasserpolizei hat wegen der Strömungen und Wasserwirbel in der Bucht sofort einen Unfall vermutet und das Meer bis weit hinaus und in große Tiefe durchsucht. Mit Booten und Tauchern. Sogar ein Hubschrauber wurde eingesetzt. Und Hunde, die das Ufer der Bucht abliefen und Reginas Geruch aufspüren sollten.«
    Er hielt inne und schaute mich mit großen Augen an. Ein hilfloser, kummervoller Blick.
    »Und das Schlimmste, Sissi – das Schlimmste war, dass sie auch mich verhört haben. Sie trieben einen Dolmetscher auf und vernahmen mich lange, stellten mir alle möglichen Fragen. Ob unsere Ehe intakt war, solche Sachen. Ich war verdächtig, verstehst du. Der Ehemann ist immer verdächtig.«
    Plötzlich verzog er das Gesicht und begann zu schluchzen.
    »Kannst du dir das vorstellen? Ob unsere Ehe intakt war! Intakt! Du weißt, wie unsere Ehe war, Sissi, du weißt, wie glücklich wir waren. Von Anfang an. Wir haben einander rückhaltlos vertraut. Das weißt du doch, Sissi! Es gab keine Eifersucht in unserer Beziehung. Wir waren einander treu. Du weißt es genau, Sissi, nicht wahr? Es war die beste Ehe, die ich kenne. Die allerbeste!«
    Seine Schultern hoben und senkten sich. Der Ausbruch beunruhigte mich, ich reagierte innerlich abwehrend, fühlte mich getrennt von Stefan, unbeteiligt, obwohl ich selbst den Verlust meiner besten Freundin lange nicht hatte hinnehmen können, obwohl kein Tag verging, an dem sie mir nicht einfiel, an dem ihr Gesicht nicht vor mir auftauchte, ihre Stimme sich nicht in meinem Kopf vernehmen ließ.
    »Die allerbeste«, wiederholte ich, »natürlich.« Ich stand auf und ging zu Stefan hin, in einem halbherzigen Versuch, ihm Trost zu bieten. Er zog mich zu sich hinunter, und ich kniete mich neben den Lehnsessel auf die alten Dielen. Als ich zu ihm hochblickte, in die Augen voller Tränen, begann auch ich zu weinen. Es entsprang keinem Mitgefühl, es war einfach ansteckend.
    »Wir haben sie beide geliebt, jeder auf seine Weise«, sagte ich und streichelte seine Wange, im selben Augenblick peinlich berührt von der Abgedroschenheit

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