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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Großmutter.
    »Betrunken …«, murmelte der Großvater, griff nach der Flasche in der Mitte des Tisches und schenkte sich mit unsicherer Hand nach. Der Hausbrand floss über. Er näherte das Schnapsglas vorsichtig seinem Mund und leerte es in einem Zug.
    Auf der Rückfahrt nach Wien schob ich eine CD von Regina in den Player, die ich heimlich aus Stefans Regal genommen hatte, die Dowland-Lieder, die sie in London mit einem bekannten englischen Lautenisten aufgenommen hatte. Ich mochte sie besonders, der elegische, melancholische Ton dieser Musik aus der Elisabethanischen Zeit ließ ihre Stimme eine ganz spezielle Färbung annehmen, ließ Schmerz, Enttäuschung, Verzweiflung anklingen, Gefühle, die die beschwingte, lebensfrohe Regina, jemand, der die Menschen mühelos für sich einnahm, nicht zu kennen schien.
    I sit, I sigh, I weep, I faint, I die / In deadly pain and endless misery , sang meine einstige Freundin, und mit einem Mal sah ich sie deutlich vor mir. Sie blickte mich durch die Windschutzscheibe an, ihre Miene war ernst, fast düster, und ich erschrak und schaute kurz zur Seite. Die Sonne stand tief, und in einer Wiese, auf die Bäume ihre langen Schatten warfen, schleuderte ein Mädchen in einem langen weißen Kleid in diesem Moment einen Strohhut mit einem blauen Band in die Höhe. Der Hut segelte in weitem Bogen durch die Luft und blieb an einem Ast hängen.
    Der Lenker des Wagens, der mich gerade überholte, hupte und tippte sich an die Stirn. Ich war auf der Fahrbahn zu weit nach links geraten. Rasch korrigierte ich den Kurs und richtete den Blick wieder nach vorn. Reginas Gesicht war nicht mehr da.
    »Cold love is like to words written on sand / Or to bubbles which on the water swim.«
    Diese Stimme. Hatte ich mir in der vergangenen Nacht etwas genommen, was mir nicht zustand? Hatte ich tatsächlich eine Grenze überschritten, wie es mir das Familientribunal vorgeworfen hatte? Den ganzen Tag schon hatte ich das Gefühl, mir etwas angemaßt zu haben. Als hätte ich mit einem Geliebten im Ehebett der Eltern geschlafen.
    Ich war längere Zeit mit keinem Mann zusammen gewesen, bevorzugte seit einigen Jahren Frauen. Ich fand sie körperlich ansprechender, sie waren feingliedrig, ihre Gesten sanft, die Bewegungen geschmeidig, ihre Haut zart und glatt: Wenn ich eine Frau umarmte, begegnete ich mir selbst. Das erstaunte und entzückte mich jedes Mal von neuem.
    Und nun Stefan. Meine Erinnerung an seinen Körper, an unsere Berührungen in der Finsternis war nicht sehr klar, da ich betrunken gewesen war. Mein Verlangen, durch den Alkohol verstärkt, war heftig gewesen, so viel wusste ich, auch, dass mich der männliche Körper anfangs etwas irritiert hatte, die Kraft und Schwere, die ich nicht mehr gewohnt war, der Geruch, die Behaarung. Der Wind hatte ums Haus gejammert und die Balken und Sparren zum Knacken, zum Seufzen gebracht. Stefan hatte ständig leise vor sich hin gesprochen, Worte gemurmelt, die für mich unverständlich waren bis auf meinen und Reginas Namen. Und damit, dass er ihren Namen nannte, beschwor er ihre Anwesenheit. Irgendwann schliefen wir zu dritt miteinander, draußen der Sturm. Reginas Fingerkuppen glitten gleichzeitig über meine Hüften und Stefans Bauch, ihre schwarzen Haare legten sich zugleich auf meine Brust und auf Stefans Gesicht, ihr Mund biss leicht in meinen Hals und dann in sein Ohr. Es war das Phantom Regina, das die Verbindung zwischen uns beiden herstellte, unsere Lust gestattete und steigerte.
    Warum empfand ich mein Verhalten dann als unzulässig?
    Alas, I am condemned ever / No hope, no help there does remain / But down, down, down, down I fall / And arise I never shall , sang Regina.
    Ich sah sie, das Gesicht verhüllt von den langen Haaren, die ihren Kopf umschlangen wie die Arme eines Polypen, langsam in die Tiefe sinken, von der hellen, durchsichtigen Wasseroberfläche hinunter in dunklere Gewässer, bis in undurchdringliche Schwärze.
    Then all must as they may / In darkness learn to dwell.
    Wie versprochen, hatte ich Stefan am Vormittag noch beim Pressen der Trauben geholfen. Er war freundlich und zuvorkommend, erwähnte aber unsere gemeinsame Nacht mit keinem Wort und wirkte abwesend, wenn er mir ab und zu leicht und flüchtig über die Wangen, die Schultern, den Kopf strich und den Blick dabei nicht direkt auf mich richtete, sondern über mich hinaus in unbestimmte Distanz. Die Korbpresse stand im Keller, gemeinsam schöpften wir die zerstampften Trauben aus

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