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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Haus war das einzige auf der Kuppe des kleinen Hügels, ein exponierter Standort, von dem aus der Blick in alle vier Windrichtungen ging. Als ich den Wagen am Straßenrand abstellte, sah ich Stefan rauchend in Jeans und T-Shirt an einem runden Steintisch im Baumschatten sitzen. Er stand auf, dämpfte die Zigarette aus und kam lächelnd auf mich zu.
    »Du bist also doch gekommen«, sagte er, strich mit den Händen leicht über meine Oberarme und küsste mich ebenso leicht auf beide Wangen. »Möchtest du etwas trinken, bevor wir an die Arbeit gehen? Ich habe gestern schon mit der Lese angefangen, ein paar Freunde haben mir geholfen. Es ist nicht mehr viel zu tun.«
    Nach drei Stunden Arbeit im Weinberg brannte mir die Sonne auf den Kopf, und mein Rücken schmerzte. Stefan hatte recht gehabt, das Arbeiten auf dem schrägen Terrain war anstrengend. Er redete viel, und ich versuchte mir meine Müdigkeit nicht anmerken zu lassen und legte weiter sorgfältig Traube für Traube in den grünen Plastikeimer neben mir. Meine Hände waren klebrig und schmutzig, an einem Finger hatte sich eine Blase gebildet, da ich seit vielen Jahren keine Leseschere mehr in der Hand gehabt hatte. Stefan hatte mir aufgetragen, unansehnliche oder faule Traubenteile samt dem Stiel auszuschneiden. Sobald der Eimer voll war, trug er ihn zu dem alten Pritschenwagen, mit dem er so nahe wie möglich an die Weinstöcke herangefahren war, und leerte die Trauben auf die Ladefläche.
    »Wir müssen heute noch pressen«, sagte er. »Oder spätestens morgen früh. Die Maische darf nicht lange stehen, sonst oxidiert der Wein.« Er schaute mich an. »Deine Wangen glühen. Sollen wir eine Pause machen?«
    »Nein, nein«, sagte ich und richtete mich auf. »Noch nicht. Es macht Spaß.«
    Stefan trat zu mir und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Die Langsamkeit und Zärtlichkeit der Geste überraschten mich.
    »Immer noch die alte Kämpferin«, sagte er leise. »Man sieht es dir nicht an, zerbrechlich, wie du wirkst. Regina erschien viel stärker, aber in Wahrheit –«
    Ich unterbrach ihn.
    »Wirklich, es macht Spaß«, sagte ich und roch an den hellroten Blüten des kleinen Rosenstrauchs am Beginn der Rebzeile. »Schön, die Rosen. Eine hübsche Idee.«
    »Regina hat sie gepflanzt«, sagte Stefan und entfernte ein paar welke Blütenblätter ebenso zärtlich und langsam wie die Haare aus meinem Gesicht. »Sie haben eine Funktion«, sagte er dann. »Rosen sind empfindlicher als Weinstöcke und werden schneller von Schädlingen befallen. So kann man die Reben früh genug schützen.«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    Später saßen wir unter dem niedrigen Edelkastanienbaum, der mitten im Weinberg stand, tranken Traubensaft und aßen Brot und Bauernsalami. Ich hatte den Rücken an den glatten, silbrig grauen Stamm gelehnt und schaute hinunter ins Tal. Etwas weiter entfernt hörte man das Geräusch eines der für die Gegend typischen hölzernen Windräder, die mit ihrem Klappern die Vögel aus den Weingärten verscheuchen. Stefan griff nach einer der Früchte, die unter dem Baum lagen, und löste die glänzende rotbraune Esskastanie aus ihrer stacheligen Hülle.
    »Die Maroni müsste ich auch ernten«, sagte er. »Ich frage mich nur, woher ich die Zeit nehmen soll. Mit Regina war das einfacher. Wir haben uns die Arbeit geteilt.« Er hielt inne und schaute mich an. »Wir haben alles geteilt.«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Ja, du kennst sie. So war Regina. Intensiv. Sie verlangte viel und gab viel.«
    Ich wechselte das Thema.
    »Eigenartig. Ich bin hier geboren und aufgewachsen und lebe in Wien. Du bist nicht aus der Gegend und hast dich hier niedergelassen.«
    »Es war ihre Idee. Sie wollte hierher. Weil sie mit dir so oft hier gewesen war. Schon damals, als ihr noch in Graz zur Schule gegangen seid. Sie hat häufig von diesen Hügeln, diesem Himmel gesprochen. Von euch. Deine Freundschaft hat ihr sehr viel bedeutet.«
    Ich gab auf. Er würde nicht aufhören, von ihr zu reden.
    »Ja«, sagte ich. »Und jetzt bist du immer noch hier. Ohne sie.«
    Ich weiß nicht, weshalb ich nach diesem Satz plötzlich auflachte. Jedenfalls nicht genau. Es war unangebracht. Stefan schaute mich irritiert an.
    »Entschuldige«, sagte ich. »Bitte entschuldige.«
    Am Nachmittag trugen wir die geernteten Trauben in Eimern über eine gewundene Steintreppe mit unregelmäßig hohen Stufen in den kühlen Weinkeller des Winzerhauses. Der Stein war glatt und dunkel und glänzte wie

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