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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Steinplatten ausgelegten Flur und weiter in die Küche. Ich hörte ihn dort herumhantieren, hörte Geräusche, ein Quietschen, wahrscheinlich die Scharniere eines der vielen Türchen der alten Kredenz, ein Scharren, vielleicht eine Lade, ein Knistern, dann Gläserklingen. Er kam mit einem kleinen runden Holztablett zurück, auf dem zwei bauchige Weingläser, ein Korkenzieher, eine Schale mit Erdnüssen und eine Flasche standen, und stellte es auf dem kleinen Beistelltischchen ab, das zwischen meinem Schaukelstuhl und einem alten Lehnsessel stand.
    »Den Wein hat mir ein Patient geschenkt«, sagte er. »Blauer Zweigelt. Seine kleine Tochter hatte eine akute Appendizitis mit nachfolgender Peritonitis, und er behauptet, ohne mein rasches Reagieren wäre sie gestorben.« Er lächelte. »Manchmal bezahlen einen die Bauern in Naturalien. Wein, Fleisch, Brennholz. Ich habe nichts dagegen.« Er zog den Korken aus der Flasche und roch daran. »Er sollte noch etwas atmen, bevor wir ihn trinken.«
    »Ich möchte jetzt gleich einen Schluck«, sagte ich schnell.
    Er sah mich an.
    »Du kannst es nicht erwarten«, meinte er leise.
    Er goss wenig Wein in ein Glas und hob es hoch.
    »Eine wunderbare Farbe«, sagte er. »Rubinrot, mit violettem Schimmer. Fast wie der Kimono, den du trägst.« Er kostete. »Guter Jahrgang. Neunziger.« Dann schenkte er das zweite Glas halb voll und reichte es mir.
    »Auf Regina«, sagte er. »Auf die Vergangenheit. Auf uns drei.«
    Mit einem Singen stießen die Gläser aneinander. Stefan ließ sich im Lehnsessel nieder und starrte auf sein Glas, während er den Stiel langsam zwischen Daumen und Zeigefinger drehte. Ich empfand das Schweigen nicht als unangenehm.
    »Die Insel heißt Procida«, sagte er nach einer Weile. »Ich meine, der Ort, wo es passiert ist. Habe ich es dir am Telefon gesagt?«
    »Procida«, wiederholte ich. »Ich erinnere mich nicht. Ich weiß kaum noch, was du gesagt hast. Es war etwas unzusammenhängend. Du warst verstört. Und ich auch.«
    »Es ist eine kleine Insel in der Nähe von Neapel. Nicht weit von Capri und Ischia. Pastellfarbene alte Häuser. Bigotte Bewohner. Schwarze Strände. Laute Mopeds.« Er schwieg und hörte auf, das Weinglas zu drehen. »Es war im Mai. Wir hatten uns auf den Urlaub gefreut. Regina hatte eine lange Konzertreise hinter sich, und ich hatte viel gearbeitet. Wir waren beide erschöpft.«
    Er atmete tief ein und aus und drehte das Weinglas von neuem.
    »Überall duftete es nach Orangen- und Zitronenblüten. Wir wohnten in der Pensione Paradiso.« Er blickte kurz auf. »Elsa Morante hat dort geschrieben, auf einem Felsvorsprung, der steil zum Meer abfällt. Einen Roman mit dem Titel Arturos Insel. Eine dunkle Geschichte. Das Ödipus-Thema.«
    »Kenne ich nicht«, sagte ich. »Weder die Autorin noch das Buch.«
    »Sie lebt nicht mehr. Sie war lange mit Alberto Moravia verheiratet.«
    »Kenne ich auch nicht. Ich lese nicht gern.«
    »Regina kannte sich da aus. Deshalb wollte sie in dieser Pension wohnen. Du weißt, sie hat Bücher verschlungen.«
    Regina, die Kultivierte, Beschlagene. Die nicht nur schön war und talentiert, sondern auch klug und gebildet. Die alles las, über alles Bescheid wusste. Die gelegentlich selbst schrieb. Ihre Kurzgeschichten waren interessant. Die ebenso gut Schriftstellerin hätte werden können wie Sängerin. Oder Bildhauerin. Malerin. Die aus dem Vollen schöpfte. War es nicht beneidenswert, eine so außergewöhnliche Person gekannt zu haben?
    Wieder hörte Stefan auf, das Glas zu bewegen.
    »An dem Tag hatten wir beschlossen, zu Fuß nach Vivara zu gehen. Ein der Insel im Westen vorgelagertes Inselchen, durch eine Brücke mit der Hauptinsel verbunden. Ein Vogelschutzgebiet, sehr schön und ruhig. Es gibt nur Vögel dort, kaum Menschen. Vögel und wilde Kaninchen. Keinen Sandstrand, nur Felsen. Wir wollten schwimmen. Regina ist – sie war eine sehr gute und ausdauernde Schwimmerin, das weißt du ja.«
    »Ich weiß.«
    »Aber gerade ausgezeichnete Schwimmer ertrinken nicht selten. Sie gehen Risiken ein. Jedenfalls breiteten wir unsere Decke auf einem Felsplateau drei Meter über dem Meer aus und zogen unsere Badesachen an. Regina meinte, sie habe Lust, quer über die Bucht zwischen Vivara und der Hauptinsel bis zu dem kleinen Felsvorsprung zu schwimmen, der das Halbrund auf der anderen Seite begrenzte, sich dort ein bisschen auszuruhen und dann wieder umzukehren. Ich versuchte sie von dieser Idee abzubringen, denn die

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