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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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den Bottichen und schütteten die Masse in die Öffnung.
    »Jetzt lasse ich den Most vierundzwanzig Stunden ruhen«, erklärte er und strich sich mit dem Unterarm über die Stirn. »Zucker und Hefe müssen auch noch zugesetzt werden. Dann kann der Saft gären. Der Keller ist der ideale Ort dafür.«
    Nach dem Pressen füllten wir den klaren, von Schalen, Samen und Stielen befreiten Traubensaft sofort in große Glasballons.
    »In der Nacht hast du ein paarmal Reginas Namen genannt«, sagte ich.
    Stefan legte den Trichter, durch den er die Flüssigkeit in die Glasbehälter geschüttet hatte, beiseite, trat auf mich zu, nahm meine Hände in seine, schob mich zur Kellerwand hin, hob meine Arme hoch, presste meine Handrücken gegen die kalten Ziegel, drückte sich an mich, ließ seine Stirn auf meine Schulter sinken und verharrte eine Weile wortlos in dieser Stellung. Dann zog er den Kopf ein wenig zurück.
    »Tatsächlich?«, sagte er. »Ach, Prinzessin, ich kann mich nicht erinnern. Ich kann mich nur an wenig erinnern.« Er legte den Kopf schief und lächelte mich an. »Regina und ich hatten eine leidenschaftliche Beziehung. Es war die Erfüllung, Sissi. Unsere Sexualität hat sich nie abgenutzt, nie verbraucht, im Gegenteil. Sie war bis zum Ende ungemein befriedigend.«
    Da war es. Deshalb hatte ich das Gefühl, mich auf verbotenem Terrain zu bewegen. Stefan gehörte Regina. Man hatte ihre Leiche nie gefunden. Die Bindung zwischen ihnen war unauflöslich. Was wollte ich? Hatte ich mich mit der schönen, unwiderstehlichen Freundin messen wollen? Ich würde mich zurückziehen. Sofort.
    »Lass mich los«, sagte ich.
    But o, the fury of my restless fear! / The hidden anguish of my flesh desires! , sang Regina.
    Inzwischen war die Sonne untergegangen, der Himmel im Westen war nicht mehr blutrot und orange, sondern zartlila und violett. Ich fühlte mich nicht gut, normalerweise trank ich wenig Alkohol. Ich bog auf den Parkplatz vor einer Raststätte ein und stieg aus. Eine stark geschminkte Frau in einem schwarzen T-Shirt mit dem giftgrünen Aufdruck BAD GIRL kämmte sich vor dem Rückspiegel eines weißen Motorrollers die Haare. Sie lächelte mich an.
    »Müde?«, fragte sie.
    »Ja«, sagte ich, »ich brauche einen Kaffee.«

4
    Ich zog mich nicht zurück. Noch ein Fehler.
    Von meiner Großmutter hatte Emma erfahren, dass am zweiten Wochenende im Oktober, zugleich mit der Erntedankfeier, im Dorf ein großes Weinlesefest stattfand.
    »Sie müssen unbedingt dabei sein, Frau Emma, unsere Erntekrone ist die schönste weit und breit. Wir Frauen aus dem Dorf binden sie selbst, aus Getreidegarben, Weintrauben, Äpfeln und Maiskolben. Eine Augenweide, Sie werden sehen, ich verspreche Ihnen nicht zu viel! Das Brauchtum muss gepflegt werden, sage ich immer, eine Missachtung des Brauchtums wäre der Anfang vom Ende. Wir Dorffrauen sind sehr stolz auf unsere Erntekronen, sie sind schon mehrmals vom Tourismusverband und von der Diözese ausgezeichnet worden. Sage ich die Wahrheit oder nicht, Sissi?«
    Mir war wenig an solchen Festlichkeiten, wie an der Brauchtumspflege überhaupt, gelegen, aber Emma war von der Aussicht auf zwei ländliche Herbstfeste an einem Tag und am selben Ort angetan, außerdem litt ich seit Jahren unter Agoraphobie, und meine Therapeutin für katathymes Bilderleben drängte mich ständig, mich meiner Furcht vor Menschenansammlungen und öffentlichen Plätzen zu stellen, es sei die einzige Möglichkeit, sie zu überwinden. Also gab ich nach, wenn ich es auch ablehnte, dem Erntedankgottesdienst beizuwohnen.
    »Da sehen Sie es, Frau Emma, das Kind ist die Gottlosigkeit in Person«, war der Kommentar meiner Großmutter zu dieser Weigerung. »Ein Wunder, dass sie sich dazu herabgelassen hat, unsere schöne alte Kirche zu betreten, als ihr Vater bestattet wurde. Eine Heidin, traurig, aber wahr. Ohne Zweifel sind es die Gene.
    Sissis Mutter hat uns erzählt, dass ihre brasilianische Großmutter als Geisterbeschwörerin weit über die Grenzen von Pernambuco hinaus bekannt war, stellen Sie sich das vor! Voodoo-Priesterin, so nennt man das dort, eine unappetitliche Sache. Sie benützen tote Hühner für ihr Hexenwerk, man glaubt es nicht. Anstatt sie zu essen.«
    Wir fuhren also hin, diesmal in Emmas uraltem Käfer. Da sie die feierliche Prozession am Vormittag auf keinen Fall versäumen wollte, brachen wir sehr früh auf. Gleich nach der Ankunft im Sausal gingen wir zur Mühle, wo wir übernachten wollten. Als wir um die

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