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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Ecke des kleinen Holzhauses bogen, schrie Emma auf, fuhr sich mit einer Hand an den Mund und zeigte mit der anderen auf den großen Kürbis, der noch immer auf dem Hackstock stand. Nur leuchtete er jetzt nicht mehr von innen und war von der Axt, die das letzte Mal gefehlt hatte und die nun in dem Kopf mit den fratzenhaften Zügen steckte, in zwei Teile gespalten.
    »Das muss dieser Geistesgestörte gewesen sein. Florian«, flüsterte sie. »Wer sonst?« Ihre Finger zitterten.
    Ich legte ihr den Arm um die Schultern und versuchte ruhig zu bleiben, obwohl ich selbst erschrocken war.
    »Es ist ein Zeichen«, sagte sie und blickte mich verstört an. »Er bedroht uns, Sissi!«
    »Ach, hör auf! Jemand hat sich einen Scherz erlaubt, das ist alles. Du kennst das Land nicht, die Leute hier haben einen sonderbaren Sinn für Humor. Wir sind zwei Frauen aus der Großstadt, wir fallen auf, man kann uns nicht einordnen.«
    »Nein«, sagte Emma und löste sich von mir, »nein. Hier bleibe ich keine Sekunde länger. Ich fahre sofort nach Wien zurück.«
    Sie wandte sich zum Gehen. Ich griff nach ihrer Hand und zog sie zurück.
    »Beruhige dich, Emma. Du hast dich so auf das Fest gefreut. Wir sind doch gerade erst angekommen. Nur deinetwegen sind wir überhaupt hier.«
    Sie starrte auf den Kürbis.
    »Irgendetwas stimmt hier nicht«, murmelte sie. »Irgendetwas stimmt hier überhaupt nicht …«
    Ich nahm sie in den Arm. Schließlich konnte ich sie überreden zu bleiben.
    »Aber ich fahre heute noch zurück«, sagte sie. »Heute Abend.«
    Wir sahen uns die Prozession, die träge in Richtung Kirche kroch, vom Straßenrand aus an. Jugendliche in langen weißen Gewändern mit Kapuzen, ähnlich der Aufmachung des Ku-Klux-Klans, gingen voran, dann folgte die in ihren überdimensionalen Ausmaßen leicht monströse Erntekrone, getragen von vier kräftig aussehenden Halbwüchsigen mit gesunder Gesichtsfarbe, darauf die Männer des Dorfes in ihren grauen Lodenanzügen, die Schärpen in den Landesfarben Grün und Weiß diagonal darüber drapiert, und die Frauen in bodenlangen, schillernden Festtagstrachten aus Satin und Brokat und Samt, in den Händen Sträuße aus getrockneten Blumen und Früchten. Zu meiner Überraschung war auch Stefan darunter, ebenfalls in Landestracht. Als er mich sah, hob er die Hand und winkte mir zu.
    »Schau, dein Freund im Steireranzug. Ganz schön angepasst«, sagte Emma.
    »Grüß Gott, Herr Doktor, grüß Gott, grüß Gott!«, rief die neben ihr stehende Frau mittleren Alters mit einem aschblonden Haarknoten im Nacken und einem graubraunen Kostüm mit Faltenrock, die glaubte, der Gruß gelte ihr, und winkte enthusiastisch zurück. »Ein herzensguter Mensch«, sagte sie dann, zu uns gewandt, »er hat meinem Neffen das Leben gerettet. Im Krankenhaus in Graz hatten sie ihn schon aufgegeben.« Sie senkte die Stimme. »Eine Blutkrankheit, wissen Sie. Es liegt in der Familie.«
    Eine Frau mit dünnen weißen Haaren und einem Schultertuch aus dotterblumengelber Seide mit dunkelgrünen Fransen, die hinter ihr stand, nickte heftig.
    »Ja, ein nobler Herr, der Herr Doktor König, da haben Sie recht. Gäbe es nur mehr solche Menschen! Ich habe gehört, dass er eine ansehnliche Summe für das Erntedankfest gespendet hat – für den Kirchenschmuck.«
    Meine Verwandten marschierten vollzählig und würdevoll geradeaus blickend auf. Nur meine Großmutter, die Hexe, die noch immer ihre Doris-Day-Perücke trug, was sie nicht jünger aussehen ließ, warf mir einen wütenden Blick zu. Sie hatte bis zuletzt gehofft, ich würde an der Prozession teilnehmen. Welches Ehrenzeichen der Wehrmacht mein Großvater heute aus gegebenem Anlass trug, war aus der Entfernung nicht auszumachen. Danach kam der als Himmel bezeichnete tragbare Baldachin, unter dem sich Hochwürden Wojcik mit seinem grauen Haarflaum, tiefen Ringen unter den Augen und erschöpfter Miene in seinem in Blau und Gold gestickten Chormantel dahinschleppte, die Monstranz, die das sogenannte Allerheiligste einschloss, unter sichtlichem Kraftaufwand mit gestreckten Armen vor sich hertragend. Den Schluss bildeten die Mitglieder der Blaskapelle in weißen Hemden, ärmellosen weinroten Westen, knielangen Lederhosen, grauen Kniestrümpfen und schwarzen, mit grünen Bändern geschmückten Hüten. Die feierliche Gemessenheit der geistlichen Musikstücke, die sie zu spielen hatten, bereitete ihnen Schwierigkeiten, sie hatten Mühe, sich so langsam im Gleichschritt zu bewegen.
    Gegen

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