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Die Unzertrennlichen

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Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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das Fädchen / O süße Mutter / Ich muss hinaus.
    Ich drückte eine Taste nieder. Der Klang war nicht angenehm.
    »Kennst du den Flügel noch? Aus der Wohnung in der Liechtensteinstraße?«
    Stefan war mit einem Tablett ins Zimmer getreten, stellte es auf den Tisch, kam auf mich zu und küsste mich auf den Nacken.
    »Ich weiß nicht mehr genau.«
    »Deine Haare«, sagte er dann und lachte. »So kurz und fein. Ich muss mich erst daran gewöhnen. Regina hatte dieses –«
    »Ja, ja«, sagte ich, »sie hatte dieses unglaublich dichte, lange schwarze Haar. Wunderschön. Wunderschön. Wun-der-schön!«
    »Was hast du denn?«
    »Nichts.« Ich schlug eine andere Seite im Notenheft auf. » Und eine Träne quillet / Hervor so heimlich still «, las ich. »Morgentau. Aus einem alten Liederbuch.«
    »Regina hing an diesem Flügel.« Er strich über den aufgeklappten Deckel. »Nussbaumholz. Das Klavier ist alt, 1915, glaube ich, es klingt nicht mehr gut. Die Wiener Mechanik ist etwas problematisch.« Er nahm mir das Notenheft aus der Hand. »Ach, die Hugo-Wolf-Lieder. Ich habe es nicht fertiggebracht, die Noten nach ihrem – ihrem Tod wegzuräumen. Sie liegen seit zwei Jahren hier.« Er stellte das Heft zurück, und wir setzten uns auf die Eckbank.
    »Der Kaffee duftet herrlich«, sagte ich und schenkte uns beiden ein. Auf dem Tisch stand eine Vase aus undurchsichtigem türkisen Glas mit frischen weißen, gelben und violetten Dahlien darin.
    »Hübsch, die Blumen«, sagte ich und strich über die festen und nassen kugeligen Köpfe. »Du warst schon draußen?«
    »Ja – hast du das Beet hinter dem Haus gesehen? Regina hat –«
    Die Tasse glitt mir halb aus der Hand, und der heiße Kaffee ergoss sich über Stefans Oberschenkel. Er stieß einen Schrei aus, sprang auf und lief aus dem Zimmer.
    »Entschuldige, bitte!«, rief ich ihm nach. »Es tut mir ja so leid!«
    Ich war bestürzt, verstand nicht, wie ich so ungeschickt hatte sein können. Nicht ganz jedenfalls.
    Ich kannte die Vase. Vor Jahren hatten Regina und ich sie auf dem Flohmarkt in Wien gefunden, und ich hatte sie ihr zum Geschenk gemacht. Ich entsann mich noch gut. Ein greller, frischer Frühlingsmorgen. Wir hatten in den Kleiderbergen der Verkäufer aus dem Osten gewühlt, uns die alten Röcke und Blusen an den Körper gehalten und die schmutzigen handgestrickten Wollschals um den Hals geschlungen, die speckigen Hüte aufgesetzt und dabei Grimassen geschnitten, waren in die viel zu weiten Jacken mit den dicken Schulterpolstern und in die viel zu großen und langen, steifen und rissigen Ledermäntel geschlüpft. Regina war ausgelassener Stimmung gewesen, hatte gestrahlt, mit den Verkäufern gescherzt und alle Blicke auf sich gezogen. Mich beachtete niemand. Wie üblich.
    Gab es denn gar nichts, was in diesem Haus nicht an sie erinnerte? Und daran, wie unbedeutend und farblos ich im Vergleich zu ihr war? Nichts, worüber man sich unterhalten konnte, ohne sie zu erwähnen oder zumindest an sie zu denken? War ich im Begriff, eine ménage à trois mit einem alten Freund und einem Gespenst einzugehen?
    Stefan kam zurück. Er trug andere Jeans und wirkte gefasst.
    »Ist alles okay?«, fragte ich. »Es tut mir wirklich leid.«
    »Ja«, sagte er, »ich habe kalt geduscht, der Schmerz war gleich vorbei.« Er lächelte. »Wolltest du mich kastrieren, Prinzessin?«
    Ich lachte.
    »Weshalb sollte ich das?«, sagte ich. »Ich würde mir damit nichts Gutes tun, oder?« Ich berührte die Vase. »Übrigens habe ich Regina diese Vase geschenkt. Sie ist vom Flohmarkt. Wir haben einen guten Preis ausgehandelt. In Gablonz hergestellt, ziemlich sicher.«
    Stefan zog die Vase näher zu sich heran, drehte sie langsam: »Ja, Regina hatte ein gutes Auge für Antiquitäten. Man konnte ihr wenig vormachen.«
    Er blickte über mich hinweg zum halb geöffneten Fenster. Draußen rauschte der Regen. Wie nach der ersten Nacht war er liebenswürdig, aber distanziert, und wirkte eher unaufmerksam. Wenn er mich berührte, dann kurz und wie beiläufig. »Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt, Regina und du?«, fragte er, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden.
    »Das weißt du doch.«
    »Nein, weiß ich nicht. Oder nicht mehr.«
    »Im Gymnasium in Graz. Sacré Coeur. In der Leonhardstraße.«
    »Ach ja? So lange ist das schon her? Wie alt wart ihr da?«
    »Fünfzehn. Ich war neu in der Klasse. Die Lehrerin setzte mich zu ihr.«
    Die Erinnerung kam zurück, deutlich. Regina, skeptisch, fast

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