Die Unzertrennlichen
ging.
»Aber Frau Emma –«, rief meine Großmutter ihr nach.
»Aber Fräulein Emma –«, sagte Oberlöschmeister Resch enttäuscht. Doch Emma war bereits außer Sichtweite.
»Was hat sie denn?«, fragte Onkel Hannes und trank sein Glas Tresterbrand auf einen Zug aus. »Weshalb ist sie so überstürzt aufgebrochen?«
»Trink nicht so viel, Hannes«, fuhr seine Mutter ihn an. »Denk an dein Herz.«
»Sie ist eifersüchtig«, sagte ich.
»Aber weshalb denn?«, fragte Tante Beate. »Ich verstehe das nicht.«
»Wir sind zusammen, deshalb.«
»Wie, zusammen?«, fragte Onkel Hannes.
»Na ja, wir sind ein Paar.«
»Was!« Meine Großmutter setzte sich kerzengerade auf. »Eine Schamlosigkeit sondergleichen!« Sie griff nach der Flasche mit dem Sliwowitz, wobei ihr die Perücke tief in die Stirn rutschte und ein paar dünne weiße Haarsträhnchen in ihrem Nacken freilegte, schenkte sich ein Achtelglas halb voll und trank die Hälfte. »Glaube bloß nicht, dass dein Großvater und ich von solchen widernatürlichen Dingen keine Ahnung haben, im Fernsehen wird ja ununterbrochen davon geredet. Nicht wahr, Ägyd? Jetzt wollen sie auch noch heiraten!«
Mein Großvater hörte sie nicht, denn erstens saß er am anderen Ende des Tisches, zweitens hatte sein beachtlicher Alkoholkonsum seine Hörfähigkeit bereits beeinträchtigt, und drittens hatte er sich gerade mit Brandmeister Haas auf ein Streitgespräch über jugoslawische Partisanen im Zweiten Weltkrieg eingelassen.
»Er hört nichts, es ist ein Trauerspiel.« Meine Großmutter schob die Perücke wieder hoch und wandte sich erneut an mich. »Sissi, jetzt gehst du zu weit. Das verzeihe ich dir nicht, ebenso wenig, wie ich deinem Vater diese absurde Hochzeit verziehen habe, eine geradezu harmlose Entgleisung im Vergleich zu deinem schweren Fehltritt.«
»Ich verstehe es nicht«, wiederholte Tante Beate. »Was ist denn dann mit ihr und unserem Doktor König?«
»Da kennt sich doch kein Mensch mehr aus«, sagte Onkel Hannes.
»Sie wird diesbezüglich nicht so wählerisch sein.« Onkel Rudolf zog den rechten Mundwinkel amüsiert hoch, der linke hing herab. Die Gesichtslähmung, Folge des Blitzunglücks, hatte sich bedauerlicherweise kaum gebessert. »Habe ich recht, Sissi?«
»Wählerisch, was heißt hier wählerisch?«, rief meine Großmutter. »Das ist ja ekelhaft. Aber hier ist unser Herr Pfarrer, er wird Licht in dieses dubiose Dunkel bringen. Natürlich verraten wir ihm nicht, dass es sich um Sissi handelt, über einen öffentlichen Skandal käme ich nicht hinweg. – Hochwürden!«
Hochwürden Wojcik, der ganz in Gedanken dahinspazierte und dabei rosa Zuckerwatte von einem Stäbchen in seiner Linken zupfte, um sie sich anschließend in den Mund zu stecken, hob den Kopf.
»Kommen Sie, Herr Pfarrer, wir hätten gern Ihre Meinung gehört. Zu einem heiklen Thema.«
Hochwürden änderte gemächlich die Richtung und trat an den Tisch. Er wirkte ausgesprochen weltlich in seinem Anzug, nur der weiße Priesterkragen verriet seine Profession.
»Setzen Sie sich, Herr Pfarrer, setzen Sie sich«, sagte Tante Dagmar und klopfte mit der flachen Hand auf den freien Platz neben sich. »Ein herrlicher Abend, nicht wahr? Ein so gelungenes Erntedankfest! Die Kirche war wunderschön geschmückt!«
Hochwürden setzte sich mit Bedacht.
»Um gleich zur Sache zu kommen«, sagte meine Großmutter. »Was halten Sie von diesen Leuten, die – ich meine, von diesen Frauen, die nicht mit Männern – also, die mit Frauen –«
»Sie will wissen, wie Sie über Lesben denken«, half Onkel Rudolf nach.
»Aha«, sagte Hochwürden und legte die Fingerspitzen seiner Hände vorsichtig aneinander. »Aha. Verstehe. Verstehe. Also, meine bescheidene Meinung tut hier nichts zur Sache. Die Kirche hingegen nimmt in der Frage der Homosexualität, gleich ob männlich oder weiblich, eine entschiedene Haltung ein, spätestens seit dem Lehrschreiben Persona humana von 1975. Darin heißt es, dass homosexuelle Handlungen per se, was so viel bedeutet wie in sich, nicht in Ordnung und damit in keinem Fall zu billigen sind.«
»Nicht in Ordnung, pfff«, sagte die Witwe Dirnböck. »Das ist ja wohl milde ausgedrückt, nicht in Ordnung …«
»Um es etwas schärfer zu formulieren«, setzte Hochwürden Wojcik fort, »die Sünde der Sodomiter zählt mit Verweis auf Genesis 18, Vers 20 sowie 19, Vers 13 zu den himmelschreienden Sünden der katechetischen Tradition und ist somit als schwerwiegende Störung
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