Die Unzertrennlichen
Schritte, lief die Treppe hinauf und erschrak, als eine graugrüne Mauereidechse blitzschnell neben mir in einem Spalt der die Treppe begrenzenden Mauer verschwand. Anders lachte sein asthmatisches, mir inzwischen vertrautes Lachen.
»Keine Angst!«, rief er. »Sie sollten im Sommer hier sein. Da wimmelt es von ihnen. Sie mögen das warme alte Mauerwerk. Kommen Sie, ich zeige Ihnen kurz das Kollegium, bevor wir Fausto besuchen.«
Er drückte seine Zigarette aus.
»In dem Gebäude darf man nicht rauchen, ich muss dazu ständig ins Freie gehen«, sagte er und fügte schmunzelnd hinzu: »Nur, damit Sie wissen, was ich Ihnen für ein Opfer bringe …«
Wir betraten das Gebäude und gingen einen Korridor entlang, von dem aus links und rechts geschlossene und halboffene Türen in verschiedene Räumlichkeiten führten, auch in die der Polizei. Am Ende des Ganges öffnete Anders die Tür zu einem großen Zimmer, in dem fünf Schreibtische, viele Regale voller Bücher und ein paar hohe Rollschränke standen. Ein Mann mittleren Alters mit einem feuerroten Lockenkopf und eine ältere Frau arbeiteten einander gegenüber. Ein kleiner, dünner Typ mit schütteren graumelierten Haaren stand neben einem Faxgerät und beobachtete, wie ein Blatt Papier langsam aus einer Öffnung am oberen Ende hervorglitt. Eine junge Frau, deren blondes Haar nachlässig mit einer breiten, strassbesetzten Spange aufgesteckt war, drückte ein aufgeschlagenes dickes Buch verkehrt auf die Glasfläche einer Kopiermaschine. Bei unserem Eintreten blickten alle vier auf.
»He, Anders, wen hast du da mitgebracht? Eine Kollegin?«, fragte der Mann am Schreibtisch auf Italienisch, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und streckte den Brustkorb heraus. Mir fiel ein dicker Knoten an seiner rechten Handinnenfläche auf. Eine Fibromatose vielleicht.
»Wird auch langsam Zeit, dass wir hier ein neues Gesicht zu sehen bekommen«, brummte die ältere Frau mit Bürstenhaarschnitt und rot gerahmter, seitlich spitz zulaufender Brille ihm gegenüber, richtete den Blick wieder auf ihren Laptop und tippte weiter.
»Genau, noch dazu ein so hübsches«, sagte der Mann, der am Faxgerät stand, und lächelte mich an. Seine Zähne waren lang und gelb, links oben hatte er einen Goldzahn.
Anders stellte mich seinen Kollegen vor. Die Frau mit dem Bürstenhaarschnitt war eine Übersetzerin aus Odessa, beschäftigt mit der Übersetzung von Goldonis Komödien ins Ukrainische.
»Zweihundert Stücke, stellen Sie sich das vor!«, stöhnte die Weißrussin. »Bis zu meinem Tod werde ich Goldoni nicht mehr los. Dabei mag ich seinen Humor gar nicht. Und dann noch die Libretti!« Sie stürzte sich wieder auf die Tastatur.
Der Mann am Faxgerät, ein aus seiner Heimat vertriebener Albaner aus dem Kosovo, ehemaliger Universitätsprofessor für Romanistik in Priština, übertrug gerade Macchiavellis Werk Dell’arte della guerra in die albanische Hochsprache.
»Ich habe Boccaccio, Dante, Petrarca und Macchiavelli übersetzt, außerdem auch noch Oriana Fallaci und Dario Fo«, sagte er und reckte selbstbewusst das Kinn. »Die gesamte Fachwelt kennt mich als renommierten Italianisten! Aber glauben Sie, die Serben hätten das auch nur im Geringsten gewürdigt? Ich wurde fristlos entlassen! Von einem Tag auf den anderen!«
»Sei nicht so wehleidig, Luan«, warf die junge blonde Frau ein. »Meine Autorin musste sich während des Krieges in einem Dorf in den Abruzzen verstecken, ihr Mann wurde von den Deutschen umgebracht. Fristlos entlassen, lächerlich! Ihr Gojim habt doch keine Ahnung.« Sie kam aus Tel Aviv und arbeitete an der Übersetzung eines Bandes mit Erzählungen von Natalia Ginzburg ins Hebräische.
»Auch wir Flamen sind immer unterdrückt worden!«, rief der Rothaarige. »Unsere Sprache wird verachtet, bis heute! Aber nicht mehr lange.« Er schlug sich mit der Faust gegen die Brust. »Ich bin aktiver flämischer Separatist und stolz darauf!« Der Mann, der aus Antwerpen kam, war dabei, einen Kriminalroman von Fruttero und Lucentini ins Flämische zu übertragen. »Wussten Sie übrigens, dass Fruttero und Lucentini auch übersetzt haben?«, fügte er hinzu. Dann griff er sich mit der rechten Hand an die Stirn. »Natürlich nicht, entschuldigen Sie, Sie sind ja Ärztin, hat Anders gesagt, wie sollen Sie das wissen?«
Wieder sah ich seine Handfläche. Eindeutig, Morbus Dupuytren, eine Beugekontraktur der Finger. Kann mit Alkoholismus, Tabakkonsum, Diabetes, Epilepsie und Aids
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