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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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zusammenhängen. Männer sind stärker betroffen als Frauen. Gut operierbar. Auf seinem Schreibtisch stand ein halbvolles Glas Rotwein, daneben eine fast leere Flasche.
    Ein sonderbares Grüppchen, diese Übersetzer. Sie wirkten eher wie eine im Untergrund arbeitende kleine Zelle nicht sehr erfolgreicher Revolutionäre. Ich war froh, als Anders nach einem Blick auf seine Armbanduhr sagte, wir hätten es eilig, und wir uns verabschiedeten. Bevor ich die Tür hinter mir schloss, sprach ich den belgischen Übersetzer an: »Trinken Sie viel Alkohol?«
    Er schaute mich verblüfft an. »Also – ehrlich gesagt, was geht Sie das an?«
    »War nur eine Frage. Auf Wiedersehen.«
    Wir gingen den Korridor ein Stück zurück. Aus einem Zimmer drang eine Männerstimme, ein angenehmer Bariton. Es klang wie Verdi.
    »Hört sich ganz nach Fausto an«, sagte Anders. »Ich muss Sie vorwarnen, er ist ein bisschen – wie soll ich sagen? Von sich eingenommen. Etwas pompös vielleicht. Er hört sich gern reden. Stoßen Sie sich nicht daran. Er kann Ihnen helfen, darum geht es.«
    Er machte eine Tür auf der rechten Seite, die einen Spalt offen stand, ganz auf. Dahinter saß an einem kleinen Schreibtisch, mit einem Notenblatt in der Hand, der Sänger. Er trug eine dunkelblaue Uniform mit hellen Kragenspiegeln und auf dem Kopf eine gleichfalls dunkelblaue Kappe, die mit einer stilisierten silberfarbenen Granate geschmückt war, aus der silberfarbene Flammen schlugen. Bei unserem Eintreten blickte er auf und verstummte.
    »Er hat sich Ihnen zuliebe in Schale geworfen«, flüsterte Anders. »Den Uniformrock und die Kappe legt er im Büro normalerweise immer ab.«
    »Ach, unser lieber Signor Cherz!«, rief der Polizeibeamte. Er hatte Mühe, das H zu artikulieren, aber immerhin versuchte er es und ließ es nicht weg, so wie die meisten Italiener. »Anders, schön, dich zu sehen!« Er wies auf das Notenblatt. »Endlich eine freie Minute, die ich nütze, um ein bisschen für unsere Aufführung in der Kirche der Madonna della Libera am Sonntag in zwei Wochen zu üben. Ein kleiner Streifzug durch Verdis Opern. Meine Frau und ich sind seit zwölf Jahren Mitglieder der Chorgemeinschaft dieser Kirche. Ich muss sagen, nicht einfach, die Partituren, gar nicht einfach.« Er legte das Blatt weg. »Nicht, dass ich hier nicht genug zu tun hätte, ganz im Gegenteil!«
    Herz hieß er. Anders Herz. Der Name passte zu ihm. Er gefiel mir. Und allmählich auch der Mann.
    Signor Sacco stand auf, nahm ein weißes Taschentuch aus seiner Rocktasche, entfaltete es, fuhr sich damit über die Stirn, steckte es wieder ein und trat mit ausgebreiteten Armen auf uns zu. Er war etwa einen Meter neunzig groß und wog, grob geschätzt, gute eineinhalb Zentner. Sein Gesicht war feist und hochrot, das Doppelkinn ging nahtlos in den dicken Hals über. Der ideale Kandidat für einen Herzinfarkt. Der Bauch, den er vor sich hertrug, war von beeindruckendem Umfang. Er wurde von einer schwarzen Lederkoppel mit roter Einfassung und einer Metallschnalle umschlossen, auf der gleichfalls die Granate mit den Flammen aufgeprägt war. Seine Uniformhose hatte seitlich einen breiten roten Längsstreifen. Er ergriff meine Hand, drückte sie fest und schüttelte sie lange. »Gestatten, Sovrintendente Sacco.« Er lächelte selbstgefällig. »Ab Anfang Dezember übrigens Capo Sacco, wenn ich das erwähnen darf, eine kleine Beförderung. Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Signorina, freut mich ganz außerordentlich. Wie ich höre, sprechen Sie unsere Sprache fließend. Ich fühle mich geehrt, dass Sie sich in dieser heiklen und tristen Angelegenheit so vertrauensvoll an mich wenden. Wie gesagt, wir stecken hier bis zum Hals in Arbeit – Straßenverkehr, Bekämpfung der Kleinkriminalität, Umweltschutz, Fremdenverkehrssicherheit, Marktpolizei, Bauüberwachung, es gibt kaum etwas, das nicht in unseren Zuständigkeitsbereich fiele. Aber ein bisschen Zeit für unsere kleine Unterredung muss sein, nicht wahr? Nehmen Sie Platz, bitte sehr, nehmen Sie doch Platz!«
    Er wies auf zwei unbequeme Sessel, die knarrten, als wir uns hinsetzten, ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder, räusperte sich und schaute mich aus kleinen schwarzen, scharf blickenden Augen unter hängenden Lidern und über schlaffen Tränensäcken an. »Sie möchten also Genaueres über die Art und Weise erfahren, wie sich der Unglücksfall zugetragen hat, bei dem die österreichische Touristin Regina König

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