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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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abartiges Vergnügen an der Täuschung anderer bezog sich nicht nur auf mich und höchstwahrscheinlich auch nicht nur auf Stefan und meinen Vater. Sie schien unter dem Zwang gestanden zu sein, andere beherrschen, sie demütigen und verletzen zu müssen. Es hatte nichts mit uns zu tun. Aber glaubte ich das wirklich? Vielleicht war der Gleichmut, mit dem ich auf ihre höhnischen Sätze reagierte, nichts als ein Schutzmechanismus, der sich automatisch einschaltete, um das Unerträgliche erträglich zu machen.
    Alle hatten wir uns von Regina blenden lassen – alle außer einem Kind, meiner Kusine Imelda, die ich nie hatte leiden können, und meinem Vater, der der Anziehungskraft meiner Freundin trotz seines berechtigten Misstrauens, das ich ihm verübelt hatte, letztlich doch erlegen war. Ich konnte es verstehen. Er war so gefangen, sexuell so bedürftig gewesen, hatte so einsam in dem unfertigen kalten, für ihn allein viel zu großen Haus gelebt, dass es mich wunderte, wie er ihr überhaupt längere Zeit hatte widerstehen können. Regina dagegen verstand ich weniger. Was für eine Genugtuung konnte es ihr bereitet haben, einen Menschen, der weitgehend zerstört war, völlig zu ruinieren? Nur weil er sich nicht von allem Anfang an von ihr hatte fesseln lassen?
    Der Inhalt des halben Briefes aus Zürich, den ich im Winzerhaus gefunden hatte, war mir nun kein Rätsel mehr. Zweifellos war dieser Brief von einem von Reginas Liebhabern geschrieben worden, einem Kollegen, einem Musiker. Der offenbar glaubte, dass er der Erste, der Einzige war, mit dem Regina Stefan hinterging. Ein betrogener Betrüger.
    Was ich nicht begriff, war die Art und Weise, wie Stefan von Regina sprach. Das Tagebuch ließ keinen Zweifel daran, dass er von Reginas Untreue wusste. Dass er mir nichts von ihren Affären erzählt hatte, konnte ich verstehen. Wer stand schon gern vor anderen als der gehörnte Ehemann da, noch dazu vor jemandem, der diese Ehe immer für ideal gehalten hatte? Aber weshalb betonte er mir gegenüber ständig, wie einzigartig in ihrer Intensität die Beziehung zwischen ihm und Regina gewesen war? Die Tränen um die Frau, die das Leben so lange mit ihm geteilt hatte, waren mir echt erschienen. Und warum sprach er nach allem, was geschehen war, überhaupt noch von ihr? Weshalb zog er es nicht vor zu schweigen? Wie stand er zu ihr? Hatte er sich trotz – oder gerade wegen – der Grausamkeit, mit der sie ihn behandelt hatte, innerlich noch immer nicht von ihr distanziert, sich nicht von ihr lösen können? Verdrängte er vieles einfach? Plötzlich empfand ich großes Mitleid mit Stefan. Er war wohl schwächer, abhängiger, als ich angenommen hatte.
    Regina, mich als Weberknecht verspottend, eine harmlose Spinnenart ohne Giftdrüsen, selbst aber die räuberische Kreuzspinne, die sich in einem eingerollten Blatt neben ihrem kunstvoll gefertigten Netz versteckt, an dem glitzernde Tautropfen hängen, geduldig abwartend. Die hervorschießt, sobald der Augenblick günstig ist, ihr Opfer mit ihrem Gift betäubt und auflöst. Für das Männchen, das sich nicht genau an das artspezifische Ritual hält, ist die Paarung lebensgefährlich, es wird gefressen.
    Ich schloss das Journal und schaltete den Laptop aus. Für heute hatte ich genug.
    Der in der Via Vittorio Emanuele gelegene Eingang des Palazzo Catena, des Kettenpalastes, einer ausgedehnten Anlage aus dem zwölften Jahrhundert, an ihrer vom Hafen aus sichtbaren, imposanten Fassade von Zinnen gekrönt, war nicht schwer zu finden. Ich stand vor einer hohen, von einem Bogen aus Ziegeln überwölbten Toröffnung, deren unteren Teil eine alte Tür aus grün gestrichenen Brettern bildete. Zwischen dem oberen Ende der verwitterten Holztür und der Höhe des Bogens hingen die welken Zweige und roten Fruchtdolden eines Baumes über die Straße hinaus. Der rechte Flügel der Tür war offen und gab den Blick frei auf einen schmalen, von vertrockneten Sträuchern gesäumten Pfad. Ich ging durch den Bogen hindurch, betrat den Weg, sah mich um. Ein großer Innenhof, die Rückseite des Gebäudes, schmutzig, baufällig. An einem Fenster ein Schild mit der Aufschrift Polizia urbana. Eine hohe Steintreppe, die zum Eingang der Polizeiwachstube und des Übersetzerkollegiums hinaufführte. Auf dem oberen Treppenabsatz stand, mit nonchalanter Geste rauchend, den Ellbogen lässig auf die Balustrade gestützt, der Übersetzer Anders. Ich freute mich, ihn zu sehen. Unwillkürlich beschleunigte ich meine

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