Die Unzertrennlichen
umgekommen – genauer gesagt, verschwunden ist, nicht wahr?«
»Ja, ich –«, begann ich.
»Anders, ein lieber alter Freund, hat mir verraten, dass Sie das Ehepaar König sehr gut gekannt haben. Seine Freunde sind auch meine Freunde.« Ein gönnerhafter Blick in Richtung Übersetzer. »So sind wir Süditaliener eben. Ich werde mir also erlauben, ganz privat mit Ihnen zu sprechen. Von Mensch zu Mensch sozusagen. Sie auch von einer weniger amtlichen Version des Vorfalls in Kenntnis setzen.«
Er beugte sich über den Schreibtisch. Sein Schädel war groß und kugelrund, das Haar dunkel, struppig und dicht. Seine Gesichtsfarbe vertiefte sich noch um ein, zwei Nuancen.
»Nun. Am besten komme ich gleich zur Sache. Offiziell war es ein Badeunfall. Wahrscheinlich war es tatsächlich einer. Höchstwahrscheinlich sogar. Aber mit hundertprozentiger Sicherheit lässt sich das nicht sagen.« Er beugte sich noch weiter über den Tisch. Gleich würde sein Kopf platzen. »Werte Signorina, es ist nicht mit absoluter Gewissheit auszuschließen, dass es sich um eine Entführung handelte.«
»Eine Entführung?«
Ich versuchte mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Der Sovrintendente lehnte sich wieder zurück. Ich atmete auf. Der Kopf war nicht explodiert, die unmittelbare Gefahr war vorüber.
»Ganz recht. Dass die Polizei von Procida in ihren Dokumenten als Ursache des Hinscheidens der bedauernswerten Signora König nach wie vor Tod durch Ertrinken angibt – was nach unserem Dafürhalten auch wesentlich eher dem wahren Sachverhalt entspricht als dieses von einem nicht unbedingt glaubwürdigen Zeugen behauptete Kidnapping –, hat einen Grund.«
Sovrintendente Sacco machte eine Pause. Wir starrten ihn an. »Einen ganz bestimmten Grund«, fuhr er fort. »Die Camorra.«
»Aber was hat denn –«, setzte ich an.
»Lassen Sie mich bitte ausreden. Einer unserer Gewährsleute, der uns mit Informationen aus dem Milieu dieser verabscheuungswürdigen Organisation versorgt, dessen Aussagen allerdings nicht immer verlässlich sind, da er heroinsüchtig ist, hat bezeugt, dass die Signora König im Jachthafen von Neapel von drei Mitgliedern eines bekannten Clans der Camorra aus einem luxuriösen Motorboot gezerrt und in einen schwarzen Mercedes gedrängt worden ist. Angeblich hat sie sich gewehrt und laut geschrien.«
»Die Witwe Ciaccoppoli –«, warf Anders ein.
»Mein lieber Anders, lass bitte die Witwe Ciaccoppoli aus dem Spiel, sie ist geistig unzurechnungsfähig, ihre Tochter hat sie entmündigen lassen.«
»Weshalb hat man –«, begann ich von neuem.
Der Sovrintendente erhob die Stimme.
»Seien Sie so liebenswürdig und unterbrechen Sie mich nicht. Ich habe Ihnen angedeutet, dass ich hier auf dem Revier förmlich in Arbeit ersticke. Meine Zeit ist begrenzt. Je aufmerksamer Sie mir zuhören, desto früher ist unser Gespräch zu Ihrer und meiner Zufriedenheit beendet.« Er schwieg kurz und fuhr etwas leiser fort. »Sie werden verstehen, dass sämtliche auch nur im Entferntesten mit der Camorra zusammenhängende Angelegenheiten mit äußerster Vorsicht behandelt werden müssen. Wir hier auf Procida sind natürlich nicht daran interessiert, uns Schwierigkeiten mit diesen gewissenlosen Kriminellen einzuhandeln. Stellen Sie sich vor, die gottlosen Verbrecher kämen auf den Gedanken, ihr Einflussgebiet auf unsere schöne Insel auszudehnen! Es wäre unser Ruin. Mit dem Tourismus wäre es aus und vorbei. Deshalb haben wir die Beobachtungen unseres Hintermannes, die möglicherweise aufgrund einer defekten Wahrnehmungsfähigkeit infolge seiner Drogensucht verzerrt waren, auch nicht weiter überprüft, sondern diese höchst unsichere Fährte sozusagen im Sande verlaufen und es offiziell bei der Verlautbarung bewenden lassen, dass Regina König ertrunken ist. Darin bestärkt hat uns auch die Tatsache, dass keine Lösegeldforderung einging.« Der Capo in spe lächelte selbstzufrieden. »Jeder vernunftbegabte Mensch wird für unser besonnenes Vorgehen Verständnis aufbringen. Die Angst vor der Camorra ist allgegenwärtig – und gerechtfertigt. Wenn ich Ihnen auch nicht verbieten kann, auf eigene Faust weitere Nachforschungen anzustellen, so rate ich doch nachdrücklich davon ab. Sie würden sich damit in Lebensgefahr begeben. Mit der Unterstützung der Polizei von Procida dürfen Sie jedenfalls nicht rechnen. Wir haben getan, was in unserer Macht stand.« Der Polizist stand auf. »Damit wäre alles gesagt. Selbstverständlich
Weitere Kostenlose Bücher