Die Unzertrennlichen
die Macht über sie, die sie mir so bereitwillig einräumte, auch sexuell geltend machen wollte. Sexuelle Abhängigkeit ist ein interessantes Thema, es ist die stärkste aller Besessenheiten und Knechtschaften, sehr befriedigend für den, der sie hervorruft. Man hat den Menschen, der einem solcherart verfallen ist, fest in der Hand, kann ihn nach Belieben manipulieren. Jedenfalls erinnere ich mich noch genau daran, wie wir auf meinem Bett saßen, wie Sissi mich ansah, von unten, einem unbeholfenen Kälbchen ähnlich, fast bettelnd, hilflos vor Verlangen. Es war grotesk. Da tat ich ihr den Gefallen. Sie zerfloß in meinen Händen, zu allem bereit. Nicht, daß ich es als unangenehm empfunden hätte, ihre ekstatische Servilität hatte ihren Reiz. Sie hat nie verstanden, weshalb ich nicht weiter mit ihr schlafen wollte, nicht erkannt, daß es nur eine Laune meinerseits war. Daß ich mich ihrer erbarmte. Daß das Erlebnis für mich eine ganz andere Bedeutung hatte als für sie. Und ich habe es ihr nie erklärt, wozu auch? Was Gefühle betrifft, ist es in jedem Fall vorteilhaft, die Menschen im Unklaren zu lassen. So sind sie leichter zu benützen. Ich frage mich, ob diese Nacht für Sissis späteres unglückliches Lavieren zwischen den Geschlechtern entscheidend war, ob ihr Unvermögen, sich eindeutig entweder zu Männern oder zu Frauen zu bekennen, damit zusammenhängt. Es ist offensichtlich, daß sie sich auch von Stefan angezogen fühlt. So offensichtlich wie unpassend. Aber Stefan merkt es nicht einmal, er ist für niemanden außer mir sexuell ansprechbar. Süchtig wie ein Junkie, wäre er weder willens noch fähig, eine andere Frau zu begehren, geschweige denn zu befriedigen. Noch dazu eine, die so wenig attraktiv ist. Ach, das Dummerchen, wie ein kleines Kind zwischen den Eltern saß sie an diesem Wochenende zwischen uns beiden, blickte einmal zu mir, dann wieder zu Stefan auf, glückselig und verzückt, ohne sich darüber im Klaren zu sein, wie lächerlich sie wirkte!
Was ihren Vater betrifft, verhielt es sich etwas anders. Ich fand seine Aura des Versagers, des Opfers seiner autoritären Mutter, dieses bigotten katholischen Monsters, ausgesprochen sexy. Da war ich die Interessierte. Schwächlinge haben mich immer gereizt. Ich weiß noch, wie ich einmal, als ich in den Sommerferien zwei sterbenslangweilige Wochen in diesem grauenhaften Haus mit den unsäglich geschmacklosen Türmchen und Arkaden in der Südsteiermark verbrachte und mich an einem späten Abend ganz unerwartet allein mit ihm fand, beschloß, ihm unmißverständlich zu erkennen zu geben, worauf ich aus war. Ich muß sechzehn oder siebzehn gewesen sein und war mir meiner Sache sicher. Aber der Idiot hat mir die kalte Schulter gezeigt, er fand meinen Versuch, den Vater meiner besten Freundin zu verführen, zynisch und kaltschnäuzig. Ich habe ihm diese Abfuhr nie verziehen, sie nicht vergessen – und nicht aufgegeben. Jahre später sah er es anders, da wurde er zugänglicher. Und dann lästig. Ganz wie die Tochter. Sissis Ahnungslosigkeit machte die Sache um so spannender. Je anhänglicher er wurde, desto mehr zog ich mich zurück. Katz und Maus, ein aufregendes Spiel. Solange man die Katze ist. Und die bin immer ich. Er hat gelitten, zu trinken begonnen, ein kleiner Triumph für mich. Sissi führte die Depression, in die er immer tiefer hineinglitt, darauf zurück, daß ihre Mutter ihn sehr bald nach ihrer Geburt verlassen hatte, sicher ein wichtiger Grund, aber nicht der einzige. Den entscheidenden Schlag, von dem er sich nicht mehr erholte, habe ich ihm versetzt. Man lehnt mich nicht ab! Ich war damals schon verheiratet, aber Stefan hätte mir sexuelle Untreue niemals zugetraut, ich hatte darauf geachtet, ihn diesbezüglich in Sicherheit zu wiegen. Erst später, als seine Gegenwart mir zuwider geworden war, habe ich ihn davon in Kenntnis gesetzt. Davon – und von anderen kleinen Betrügereien. Er fiel aus allen Wolken. Amüsant.«
Amüsant. Immerhin tröstlich, dass ich nicht die Einzige gewesen war, die Regina mit kaltem Genuss hintergangen hatte. Es war wohl nicht persönlich zu nehmen. Vor einer halben Stunde noch wäre das alles unvorstellbar für mich gewesen. Auch ich war aus allen Wolken gefallen, so wie Stefan. Auf eine Betonfläche. Doch je länger ich las, desto ruhiger wurde ich. Ich fühlte nichts. Offensichtlich stellte ich mich relativ schnell auf die veränderte, durch die neuen Informationen geschaffene Situation ein. Reginas
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