Die Unzertrennlichen
Glas«, sagte er. »Mindestens. Uralter kampanischer Brauch.« Wieder das rauhe Lachen.
Wir stießen miteinander an.
»Coda di Volpe«, sagte er. »Eine spät reifende Sorte.«
»Fuchsschwanz«, sagte ich. »Origineller Name für einen Wein.« Erst jetzt fiel mir auf, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen war, Deutsch mit dem Deutschen zu sprechen.
«Man kann auch Caprettone, Falerno oder Pallagrello Bianco dazu sagen.«
Angenehm wohlklingend, diese italienischen Bezeichnungen. Wie konnte Emma nur das prosaische österreichische Wort Zweigelt ertragen? Ein Wort, das mit der unschönen Konsonantenverbindung zw anfängt und mit der nicht weniger hässlichen Buchstabenkombination lt aufhört?
Der Übersetzer stellte das Glas abrupt ab. Ich zuckte zusammen. So rasche Bewegungen war ich von ihm nicht gewohnt.
»Schauen Sie!«, rief er und deutete mit der Zigarette aufgeregt auf die Schüssel. Ein bisschen Asche fiel hinein. »Das Fleisch wird von außen nach innen langsam weiß. Man sieht nur noch einen dünnen rötlichen Streifen in der Mitte. Das ist der Moment! Wir müssen sofort handeln.«
Er begann die Filets aus der Schüssel zu nehmen und sie auf einem Küchentuch zu verteilen, damit sie trockneten. Ich half ihm dabei. Es machte Spaß, mit diesem liebenswerten, wenn auch etwas sonderbaren Gastgeber ein Essen vorzubereiten.
»So, und nun trinken wir ein zweites Glas, um uns von der Anstrengung zu erholen«, meinte er dann und füllte die Gläser von neuem.
Schließlich legten wir die aufgeklappten Sardellen mit der silbrigen Außenseite nach oben Schicht für Schicht in eine Schüssel. Jede Lage wurde von meinem Gastgeber großzügiger als die vorige mit kleingeschnittenem Knoblauch und Oregano bestreut und reichlicher mit Olivenöl begossen.
»Fertig«, sagte er zufrieden und verteilte die restlichen zehn Zentimeter Wein in der Flasche auf die beiden Gläser. Der Wein namens Fuchsschwanz begann mir zu Kopf zu steigen. Ich sah Anders dabei zu, wie er eine zweite Flasche nahm, daraus Rotwein in den Topf goss, aus dem ein so delikates Aroma aufstieg, und einen Schluck aus der Flasche trank, bevor er sie zurückstellte. Der Mann erschien mir von Minute zu Minute einnehmender. Ich brachte es mit dem steigenden Alkoholspiegel in Zusammenhang.
Nach der Hauptspeise war ich angenehm satt und ziemlich betrunken. Das, was so köstlich gerochen hatte, waren Pezzetti di cavallo gewesen, geschmortes Pferdefleisch. Es hatte ebenso köstlich geschmeckt.
»Ein Rezept aus Apulien«, hatte Anders erklärt. »Von meiner Schwiegermutter – ich meine, von der Mutter meiner Exfrau. Allegra. Sie stammt von dort, aus einem Dorf in der Provinz Lecce, am äußersten Ende des Stiefelabsatzes. Eine miserable Köchin. Und nicht sehr heiter.« Er hatte ein Fleischstückchen auf die Gabel gespießt, es nachdenklich angeblickt und langsam den Kopf geschüttelt. »Nein, überhaupt nicht heiter, Allegra, meine Exfrau.« Anschließend hatte er sich den Bissen vorsichtig in den Mund geschoben. »Gar nicht schlecht«, hatte er dann gemeint und zufrieden genickt. »Wichtig ist, dass die Stücke eineinhalb Stunden lang schmoren und keine Minute weniger. Zusammen mit Tomaten, Peperoni, Lorbeer und Salbei.«
Im Augenblick war mein Gastgeber in der Küche mit der Zubereitung des Desserts beschäftigt. Er ließ sich Zeit. Dass ich dabei zusah, hatte er nicht gewollt, er hatte gemeint, ich solle mich überraschen lassen. Man hörte das scheppernde Geräusch eines Schneebesens. Ich blickte mich im Wohnzimmer um. Ein paar altmodische Lampen mit dunklen Holzfüßen und vergilbten, schief stehenden Schirmen aus Pergament strahlten warmes gelbes Licht ab. Die Möbel waren abgenutzt und passten nicht zueinander. Auf Regalen, die aus rohen Brettern gezimmert waren und bis zur Decke reichten, standen und lagen in doppelten Reihen abgegriffene Bücher, und auf dem Fußboden, der zur Gänze mit hübschen, wenn auch zerschlissenen Teppichen ausgelegt war, schlängelte sich an den Wänden entlang eine endlos lange Reihe von CD s. Die Wände waren mit fadenscheinigen Behängen und mit verblichenen Zeichnungen und Farbdrucken bedeckt. Ein großformatiges, den jungen Clint Eastwood in Schwarzweiß abbildendes Plakat. Die Lithografie Nie wieder Krieg von Käthe Kollwitz. Ich musste lächeln. Es sah Anders ähnlich. Zwei massige hellbraune, in der Mitte durchhängende Ledersofas mit abgewetzten Bezügen, auf denen zerdrückte Kissen und ein Haufen
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