Die Unzertrennlichen
so, als sei sie im Bilde, als wisse sie Bescheid.
Stefan hatte sicher Schlimmes durchgemacht, und das jahrelang. Er benötigte Zuwendung, Verständnis. Ich nahm mir vor, ihn nach meiner Rückkehr besonders liebevoll und einfühlsam zu behandeln, er verdiente es. Wir würden uns gegenseitig dabei unterstützen, über den Betrug hinwegzukommen, den Regina an uns begangen hatte. Von meiner Entdeckung des Journals würde ich ihm nichts erzählen, es war nicht nötig. Dass ich auf eigene Faust nachgeforscht hatte, würde er mir übelnehmen, außerdem war es wenig sinnvoll, ihn an seine traumatischen Erfahrungen zu erinnern. Es genügte, dass ich wusste, was passiert war, und mich entsprechend rücksichtsvoll verhielt. Er brauchte mich.
Und Anders? Ein sympathischer Mann, der einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt hatte, um in mein Leben zu treten. Was nichts daran änderte, dass ich mich auf das Essen freute, zu dem er mich eingeladen hatte. Wenn es auch nur eine Take-away-Pizza sein würde.
Der Deutsche wohnte in der Via San Rocco Nummer 14. Ich lehnte mein Fahrrad an die Hausmauer und drehte mich um. Die Aussicht war beeindruckend, der Blick ging über den ganzen Golf von Neapel hinweg. Inzwischen waren Wolken am Himmel aufgezogen, das Meer war grau und bewegt, es wehte ein kühler Wind. Der kaum sichtbare Streifen in weiter Ferne musste die Halbinsel Sorrent sein. Ich wandte mich wieder dem Haus zu, betrachtete die Fassade.
Ein altes Gebäude. Der Putz war abgeblättert, unter dem neueren, weißen waren alte Farbschichten erkennbar, ockerfarben und türkis. Eine Steintreppe, überwölbt von einem Torbogen, führte steil hinauf und hinein in das Haus. Rechts neben der Treppe war auf einem Täfelchen die Hausnummer angebracht, in Weiß auf dunkelblauem Grund. Darunter lehnte mein Fahrrad, violett, mit rosa Sattel. Über eine Mauer links vom Torbogen hingen Zweige, welke Blätter.
Das Bild kannte ich. Aus meinem Traum und aus dem Internet. Es fehlte nur noch Regina, die auf der Treppe stand. Ich hob den Blick.
Nein, Regina war es nicht, die von links auf den oberen Treppenabsatz trat und winkte. Es war Anders. Und er blickte auch nicht ernst, sondern lachte. Ich musste schmunzeln, unwillkürlich. Solche Dinge gab es eben. Sie beunruhigten mich nicht. Oder kaum.
Offenbar flunkerte der Mann aus dem Norden ebenso gern wie ich: Es gab keine Pizza vom Zustellservice, er kochte selbst. In seiner Küche herrschte außer dichtem Nebel, einer Mischung aus Zigarettenrauch und Wasserdampf, auch heillose Unordnung, was mich wenig überraschte. Ich trat an den Herd. In einem Topf schmorte etwas. Es roch verheißungsvoll. Ich griff nach dem Deckel.
»Weg mit den Fingern!«, rief Anders und schlug mir spielerisch auf die Hand. »Wir brauchen hier keine Schnüffler!« Er lachte heiser.
Auf der Arbeitsplatte stand eine flache Schüssel, in der, mit einer durchsichtigen Flüssigkeit bedeckt, eine Unmenge kleiner, rosafarbener Fischfilets lagen. Sardellen. Anders bemerkte meinen Blick.
»Als Vorspeise gibt es Alici marinate«, sagte er. »Ich bin gestern eigens nach Pozzuoli gefahren, auf den Fischmarkt. Meine Händlerin hat mir gezeigt, wie man sie ausnimmt, es ist ganz einfach.« Seine schmalen Hände mit den langen, vom Nikotin braunen Fingern nahmen sich Zeit für die entsprechenden Gesten und ließen dabei die Zigarette nicht los. »Man dreht den Kopf ab, klappt das Fischlein auf und zieht die Mittelgräte von oben nach unten ab, samt der Schwanzflosse.«
Barbarisch. Ich war hingerissen. Endlich ein Mensch, der meine Vorliebe für die italienische Küche teilte, sie mir nicht vorspielte, so wie Emma. Der nicht nur aß, sondern auch selbst kochte. Der es bestimmt zu schätzen wissen würde, wenn man ihm florentinische Kutteln oder einen gefüllten Schweinsfuß vorsetzte.
»Manche nehmen Zitronensaft für die Marinade, ich ziehe Weißweinessig vor«, fuhr er fort. »Entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem man die Filets aus dem Essigbad nimmt. Er ist nicht leicht zu bestimmen. Die Sardellen sollten noch fast roh sein.« Er sah mich an und lächelte. »Ein magischer Augenblick sozusagen. Eine Minute zu viel kann alles verderben.«
Es war ich, die den Blick zuerst abwandte. Anders hustete heftig, dann nahm er eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank und öffnete sie, ohne die Zigarette wegzulegen. Noch nie hatte ich jemanden so langsam einen Korkenzieher in einen Weinkorken drehen sehen.
»Während man wartet, trinkt man ein
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