Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
Vom Netzwerk:
kein Wort Finnisch! Kein Mensch versteht Finnisch. Außer den Finnen.«
    Ich hätte ihm gern den Inhalt der Rede des Bürgermeisters von Helsinki in großen Zügen wiedergegeben, beschloss dann aber, mich im Zaum zu halten.
    »Nein, auf Englisch natürlich. Die Finnen haben eine Begabung für Fremdsprachen. Die Bürgermeisterin spricht fünf Sprachen – ich meine, der Bürgermeister. Was gibt es?«
    »Was ist das für ein Geräusch im Hintergrund? Klingt wie Meeresrauschen.«
    »Ist es auch. Ich stehe auf dem Balkon des Rathauses, um mich besser mit dir unterhalten zu können. Hier ist es ruhiger. Das Rathaus von Helsinki liegt direkt am Meer, wusstest du das nicht?«
    »Bist du verrückt? Im Freien? Bei dieser Kälte! Es hat minus drei Grad! Ich schaue jeden Morgen im Net nach, wie das Wetter in Helsinki ist. Und du, dem festlichen Anlass entsprechend in einem leichten Kleid! Du wirst dich erkälten! Du fehlst mir, Prinzessin, weißt du das?«
    »Du mir auch. Was gibt es Neues?«
    »Nichts Besonderes. Ziemlich viel Arbeit. – Ach ja, es gab eine kleine Aufregung hier. Deine Kusine Imelda. Sie hatte einen Schock.«
    »Aber weshalb denn?«
    »Einen leichten. Sie hat sich bald wieder erholt. Florian – der Bruder des Forstgehilfen, du kennst ihn ja –«
    »Was ist mit ihm?«
    »Er hat deine Kusine belästigt. In der Nähe der Mühle. Es hat sie sehr erschreckt. Ihrer Ansicht nach war es ein Vergewaltigungsversuch. Florian bestreitet das. Er sagt, er habe nur ihre blonden Haare streicheln wollen, und als sie das nicht zuließ, habe er sie umgestoßen. Sie behauptet, er habe sich auf sie geworfen und sich an ihr vergehen wollen. Jedenfalls halten ihn die meisten im Dorf für sexuell abartig, sie sind dafür, dass er in eine Anstalt kommt. Aber sein Bruder will nichts davon wissen. Er meint, Florian sei gutmütig und völlig harmlos.«
    »Das glaube ich auch.«
    »Ich bin mir da nicht so sicher. Meiner Ansicht nach ist er ziemlich verhaltensgestört. Schwer einzuschätzen, wozu er imstande ist. Ich traue ihm jedenfalls einiges zu. Diesmal ist es noch gutgegangen. – Aber wir müssen aufhören, Prinzessin, sonst holst du dir auf dem finnischen Rathausbalkon noch den Tod. Ich melde mich wieder. Ich umarme dich.«
    »Ich dich auch.«
    Ich schaltete das Mobiltelefon aus und ging zurück ins Wohnzimmer. Anders lag auf dem Sofa. Seine Füße ragten über den Rand hinaus. Er hatte sein Handy ans rechte Ohr gelegt und schlief. Ich beschloss, ihn nicht zu wecken und zurück zur Pension zu fahren.

9
    Am Morgen darauf nahm ich das Aliscafo nach Neapel. Es war kalt und windig, Himmel und Meer hatten denselben schiefergrauen Farbton. Mit der U-Bahnlinie eins fuhr ich bis zur Station Piscinola. Als die Türen sich öffneten, ertönte ein heulendes Signal. Ein paar Leute hasteten aus den Waggons, ich eilte mit ihnen mit. Im Aufzug bekreuzigte sich eine junge Frau.
    Ich ging durch die menschenleeren Straßen, sah mich um. Ein Vorort von schwer überbietbarer Tristesse, desolate Zweckbauten aus den siebziger Jahren, hässliche große, von Stahlzäunen umgebene Wohnkomplexe, halbfertige Betonskelette, der beißende Geruch von schwelendem Plastikmüll. Kein Geschäft, keine Bank, kein Supermarkt. Auf der Fahrbahn spielten drei Kinder. Über allem der bedeckte Himmel.
    Eines der Kinder, ein kleiner Junge, stellte sich vor mich hin und schaute mich aus großen schwarzen Augen mit langen, aufgebogenen Wimpern starr an. Eine schlecht oder gar nicht behandelte einseitige Lippenspalte zog sich von seiner Oberlippe bis zum Nasenloch. Eine Hasenscharte. Er grinste, schob sich den Lauf seiner großen gelben Plastikpistole zwischen die Lippen und drückte ab. Dann nahm er die Pistole aus dem Mund, zielte auf mein Gesicht, drückte abermals ab, blies den imaginären Rauch von der Mündung und lief zu seinen Freunden zurück. Alle drei blickten in meine Richtung und lachten, dann liefen sie um eine Ecke.
    Ich ging weiter, suchte schließlich unter dem Plexiglasdach einer ramponierten Bushaltestelle Schutz vor dem Wind und faltete den Stadtplan auseinander, den Achille mir überlassen hatte. Die Via dell’ Abbondanza musste in der Nähe sein. Zwei dicke Frauen mit Einkaufstaschen, bunte Wolltücher um Kopf und Oberkörper geschlungen, stellten sich zu mir und musterten mich eine Zeitlang schweigend von der Seite.
    »Scheußliches Wetter«, sagte die eine, etwas Größere, schließlich. Sie lispelte ein wenig.
    »Wissen Sie, wo die Via dell’

Weitere Kostenlose Bücher