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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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sagte Anders. »Aus dem Jahr 1681. Ein besonderer Ort.«
    Ein graubrauner kleiner Hase saß reglos im Gras und schaute uns aus runden Augen an. Anders blieb stehen und berührte mich am Arm. Plötzlich stieß das Tier einen lauten Pfiff aus, trommelte mit den Hinterläufen auf die Erde und verschwand im Gesträuch.
    »Ein Wildkaninchen. Es warnt seine Artgenossen vor uns«, sagte mein Begleiter. »Die Insel ist voll von ihnen. Wahrscheinlich ist es in seinen Bau gerannt.«
    »Die sind ja süß!«
    »Genau so eines hat Vittorio dir serviert«, sagte Anders, zog an seiner Lucky Strike, blies den Rauch aus und grinste. »Und was wir nicht verspeisen, holen sich die Raubvögel und Eulen, die Marder und Iltisse. Viele überstehen den ersten Winter nicht. Das ist gut so, denn sie vermehren sich – wie die Kaninchen.« Er lachte sein unwiderstehliches, kehliges Lachen.
    Wir gingen die unebenen Stufen einer Steintreppe hinauf, über die das gelb verfärbte Laub einer Glyzinie hing, betraten die kleine, von vier bröckelnden Steinpfeilern und einer Steinbank begrenzte und von einer Art Pergola aus durchhängenden, ausgetrockneten Holzpfählen geschützte Terrasse und schließlich das Innere des Hauses. In einem großen, lichtdurchfluteten, teilweise mit einem schönen alten Fliesenboden in Blau, Weiß und Schwarz ausgelegten Raum stand an einer Wand neben einem offenen Fenster ein altarartiger, reichverzierter Aufbau aus hellem Stein. Wir traten näher. Ein Relief zweier kindlicher Engelsköpfe mit stilisierten Flügeln schmückte den mittleren, oberen Teil des Altars. Respektlose Besucher hatten das eine Gesicht mit einem schmalen Kinnbart, das andere mit einem Schnurrbart und einem Ziegenbart versehen. Der Raum daneben war mit einem offenen Kamin ausgestattet, der gleichfalls mit Kritzeleien bedeckt war, ebenso wie die Wände.
    Ich verstand nicht, wie man ein solches Bauwerk derart verwahrlosen lassen konnte, teilte Anders meine Bestürzung aber nicht mit. In diesem Umfeld, in diesem Augenblick hätte jedes Wort gestört. Wir verließen das Gutshaus und sahen uns in den Nebengebäuden um, entdeckten an einer von grünem Schimmel befallenen Mauer in einer Ecke eine Feuerstelle, deren geborstene steinerne Abzugsüberdachung von einer schönen alten Säule gestützt war, auch eine verrostete Presse, Fässer aus verrottetem Holz mit schiefen Dauben, eine Mühle mit schweren runden Mühlsteinen. Wieder war ich versucht, Anders zu fragen, ob hier Oliven zu Öl gepresst worden waren, denn ich hatte auf unserem Spaziergang auch Olivenbäume gesehen, und wieder schwieg ich, um den Zauber des Ortes, der Stunde nicht zu brechen. Auch er hatte offenbar kein Bedürfnis zu sprechen, hielt nur meine Hand in seiner, in festem Griff, ließ sie nicht los. Wir gingen wieder ins Freie, versuchten uns einem für sich allein stehenden, schmuck- und fensterlosen Turm in der Form eines plumpen Obelisken zu nähern, den wir von den Fenstern der Villa aus erspäht hatten, was uns wegen des ihn einschließenden Pflanzendickichts nicht gelang. Als wir uns vom Gutshof abwandten, stießen wir noch auf grasüberwachsene, archaisch wirkende alte Weinkeller aus roh behauenen Steinen. Dann gingen wir, uns stumm an den Händen haltend, weiter in Richtung Süden. Auf der Insel war es nicht still, man hörte Vogelrufe, es zirpte, summte, brummte, piepste, trillerte, pfiff, es raschelte, knisterte, knackte, schnarrte und zischte in Gebüsch und Gesträuch. Die Macchia war voller Leben. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen, gelegentlich zeigte sich sogar die Sonne und tauchte die Landschaft kurz in ein intensives gelbes Licht. Der Weg weitete sich zu einer kleinen Lichtung, und mitten auf dieser grünen Fläche stand, durch ein Fernglas zum Himmel aufblickend, ein dünner kleiner Mann mit dichten dunklen Haaren in einem blauen Parka mit einem roten Querstreifen in Brusthöhe. Als er uns kommen hörte, ließ er das Fernglas sinken und blickte uns entgegen.
    »Ah, der Vogelkundler!«, sagte Anders. »Ich habe mich schon gefragt, wo er steckt.«
    Wir blieben vor dem Mann stehen. Er musste um die fünfzig sein, trug eine randlose Brille und hatte auffallend rote, bartlose Wangen.
    »Hallo, Signor Bocchetti!«, sagte Anders. »Heute schon unbekannte Flugobjekte gesichtet?«
    »Schönen guten Tag, Signor Anders«, erwiderte der Ornithologe. »Ausnahmsweise einmal in Begleitung auf Ihren Spaziergängen hier, das ist ja neu!« Er verbeugte sich leicht vor mir.

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