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Die Unzertrennlichen

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Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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ging. Ich wusste nicht, was ich von diesem Abschied halten sollte.
    Am nächsten Morgen stand ich zeitig auf, um das frühe Schnellboot nicht zu versäumen. Vor Kälte zitternd trat ich ans Fenster meines Zimmers. Dunkelgraue Wolken hingen tief über dem Horizont, die Meeresoberfläche war bewegt, es stürmte.
    Als ich den Frühstücksraum betrat, saß Signor Tucci bereits an seinem Tisch. Das wunderte mich. Vielleicht beabsichtigte er, dasselbe Aliscafo zu nehmen wie ich? Bei meinem Eintreten schaute er auf.
    »Trostlos, das Wetter«, sagte er. Seine Miene war trister denn je. Ich war nicht sicher, ob ich mich angesprochen fühlen sollte, denn er blickte an mir vorbei. »Ich fürchte, die Fähren werden nicht verkehren«, fuhr er betrübt fort. Gleich würde er zu weinen beginnen.
    »Haben Sie Ihre Geschäfte hier erledigt?«, fragte ich, nur um etwas zu sagen. Er würdigte mich keiner Antwort und starrte weiter verzagt vor sich hin. In diesem Augenblick erschien die Pensionswirtin ungekämmt und unausgeschlafen in einem abgetragenen, nicht gerade sauberen Morgenmantel aus zerfranstem Frottee. Ihre Schritte in den flachen Stoffpantoffeln waren wesentlich weniger rasch und resolut als sonst.
    »Ich bin in aller Herrgottsfrühe aufgestanden«, sagte sie vorwurfsvoll und gähnte, ohne die Hand vor den Mund zu halten. »Nur wegen Ihrer Abreise.«
    »Das wäre nicht nötig gewesen«, sagten Signor Tucci und ich gleichzeitig.
    Sie musterte uns eingehend aus runden Haselnussaugen.
    »Ich kann Sie doch nicht ohne Frühstück aus dem Haus gehen lassen«, sagte sie dann. »Ohne Kaffee. Das Meer ist unruhig, und wenn Sie nichts im Magen haben, wird Ihnen auf dem Boot womöglich schlecht.« Das Lächeln, das sie aufsetzte, sollte mitfühlend wirken, geriet aber zu ihrem üblichen Raubtierlächeln. »Obwohl Sie Glück haben, dass die Schiffe heute überhaupt fahren«, ergänzte sie. Signor Tucci wandte ihr das fahle Gesicht zu, einen schwachen Schimmer der Hoffnung in den Augen.
    Die Frau blickte mich voll Argwohn von der Seite an. »Ich hoffe jedenfalls, Sie haben gefunden, wonach Sie suchten.«
    »Ja«, antwortete ich. »Das habe ich. Ein paar Tage Ruhe und Erholung.«
    »So, so«, sagte die Signora skeptisch. »Ein paar Tage Ruhe und Erholung. Tatsächlich.«
    Die Bitte des alten Rezeptionisten fiel mir ein.
    »Und ich habe Signor Achilles Akkordeonspiel genossen«, fuhr ich fort. »Sehr angenehm, diese Musik. Ich hoffe, er erfreut die Gäste weiterhin damit.«
    »Also, ich weiß nicht –«, warf Signor Tucci beunruhigt ein.
    »Das ist doch nicht Ihr Ernst«, sagte die Signora schroff. »Der alte Narr. Es wird Zeit, dass er geht. Wir haben ihn aus reiner Nächstenliebe so lange behalten.«
    Der Handelsreisende wirkte erleichtert.
    Signora Smaldone verhielt sich eindeutig weniger liebenswürdig als bei meiner Ankunft. Wir brauchen hier keine Schnüffler. Auch in dieser Hinsicht gab es Ähnlichkeiten zwischen der Insel und meinem Heimatdorf. Denen, die von außen kamen, begegnete man mit falscher Freundlichkeit, in Wahrheit wurden sie misstrauisch beäugt und belauert. Man wusste Bescheid über jeden ihrer Schritte. Ich würde nie erfahren, wer diese Worte geschrieben und den Zettel unter den Gepäckträger des Fahrrades geklemmt hatte.
    Nur wenige Passagiere benützten das Aliscafo. Der Handelsreisende saß mir gegenüber. Lange sagte er nichts, dann beugte er sich plötzlich zu mir vor. »Konnten Sie Neues über das Schicksal Ihrer Freundin in Erfahrung bringen?«, erkundigte er sich.
    Die Frage war mir peinlich. Sogar er war unterrichtet. Der junge Mann bemerkte mein Unbehagen. »Jeder in Procida weiß, weshalb Sie hier waren«, sagte er sanft. »Die Leute auf der Insel sind neugierig, schwatzhaft und indiskret, vor allem die Frauen.« Er schüttelte resigniert den Kopf. »Lauter Hexen. Man kann sich nicht genug in Acht nehmen.«
    »Nachdem Sie schon Bescheid wissen«, sagte ich. »Wie denken Sie über die Angelegenheit?«
    »Ach«, sagte der Handelsreisende tonlos, »ich glaube nicht, dass die Frau noch lebt.« Er machte eine kleine Pause und seufzte tief. »Sich mit der Camorra einzulassen, wie Ihre Freundin es unvorsichtigerweise getan hat, ist sehr gefährlich. Ich halte es durchaus für möglich, dass man sie umgebracht hat. Diese Leute schrecken vor nichts zurück.«
    Der junge Mann deprimierte mich, und ich stand auf, verließ den Passagierraum, betrat das Deck und stellte mich an die Reling. Mir war nicht gut, und

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