Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
der Lykanthrop das Waisenhaus Reverend Dombeys aus, um ein Kind zu entführen. Dieses Kind war, wie wir alle wissen, Miss Mara Mushroom.«
Das sollte alles gewesen sein?
Emily fragte verdutzt: »Sie meinen, es war ein Zufall? Nichts weiter?«
Unnötig zu erwähnen, was mir in diesem Moment durch den Kopf schoss.
»Larry entführte sie, wie er es mit all den anderen Kindern getan hatte, und brachte sie den ganzen langen Weg bis hinunter in Pairidaezas Kathedrale. Doch hatte er keine Ahnung, wen er dieses Mal gestohlen hatte. Und Kensington? Der neue Lordkanzler machte sich eher Gedanken darüber, die Herrschaft über Chelsea zu erlangen und die Arachniden auszuschalten. Sie sehen also, es war nichts weiter als ein Mangel in der Organisation. Ein Kommunikationsproblem. Als Mr. Fox und Mr. Wolf am nächsten Morgen im Waisenhaus ankamen, konnte ihnen der Reverend nur aufgeregt von dem Tumult in der Nacht berichten. Das Kind war verschwunden und mit ihm Maras Halbschwester.« Eindringlich sah er Emily an. »Durch Verquickung unglücklicher Umstände war, wie man uns mitteilte, Miss Laing aus eigenem Antrieb in jener Nacht geflohen, nachdem sie zuvor in die privaten Räume des Reverends eingebrochen war.«
Emily kam in den Sinn, dass dies erst wenige Tage her war.
Konnte das sein?
Es war so vieles geschehen seit ihrer Flucht. In diesen wenigen Tagen hatte die ganze Welt ein neues Gesicht bekommen.
»Also begann die Suche nach den beiden Kindern«, fuhr Lycidas zu reden fort, »die jetzt endlich ein Ende gefunden hat.«
Nach einem Augenblick des Schweigens war Emily die Erste von uns, die etwas sagte: »Aber was ist denn nun mit Mara?«
»Ihre Schwester befindet sich hier bei uns, im Tower von London«, antwortete Lycidas offenherzig.
Etwas an der ganzen Sache schien nicht richtig zu sein. »Was haben Sie nun vor?«
»Angenommen ich gebe das Kind in Ihre Obhut, Wittgenstein«, begann er. »Wären Sie dazu bereit, die beiden Kinder, Emily und Mara, zum Anwesen der Familie Manderley zu geleiten?«
Überrascht starrte ich ihn an.
Mit diesem Vorschlag hatte ich nicht gerechnet.
Emily zugewandt sagte Lycidas: »Ich möchte, dass Sie mir vertrauen.« Mit diesen Worten klatschte er in die Hände, und die Türen öffneten sich. Herein kam eine Kinderfrau, die ein kleines Mädchen in einem schwarzweißen Kleid auf den Armen trug. Das Mädchen schaute neugierig in die Runde der Anwesenden, und die Ähnlichkeit, die die Kleine zu Emily Laing aufwies, war unverkennbar. Die beiden hatten die gleichen Augen. Das gleiche Lächeln. Die gleiche Haarfarbe.
Und sie lächelte Emily an.
Tränen traten in die Augen des Mädchens, als sie ihre Halbschwester in die Arme schloss.
»Hallo, Mara«, flüsterte sie nur.
Küsste die bleichen Wangen des Kindes.
»Ich bin deine Schwester. Ich bin Emily.«
Zum ersten Mal, seitdem ich sie kannte, wirkte Emily glücklich.
Und der Engel Lycidas wachte argusäugig über das neu gewonnene Glück der beiden Schwestern.
Kapitel 14
Manderley Manor
Wir verließen die Hölle am Tag vor Heiligabend durch das Verrätertor. Hinter uns erhob sich der Tower von London in den mattgrauen Himmel des anbrechenden Tages, und zu unserer Linken spannte sich majestätisch die Tower Bridge mit ihren gotisch anmutenden Brückentürmen über die von zerfransten Nebelschleiern bedeckte Themse. Dies war das wirkliche London. Eine Stadt, in der die Menschen zur Arbeit fuhren, hastig die letzten Besorgungen für das Weihnachtsfest machten und emsig die verbleibenden Stunden vor den sich ankündigenden Feiertagen zu überbrücken versuchten. Die Welt hier oben war ständig in Hast und Eile.
Am Tower Gateway bestiegen wir die wie immer überfüllte U-Bahn, die uns bis zum Embankment brachte, von wo aus wir die Bakerloo Line bis nach Marylebone nahmen.
Während der ganzen Zeit fragte ich mich, was Master Lycidas wohl dazu bewogen hatte, uns ziehen zu lassen. Hatte er die Wahrheit gesprochen?
Zufälle gibt es nicht
– und genau das war der Punkt, der mich an seiner Sicht der Dinge hatte zweifeln lassen. Es hatte zu viele Zufälle in seiner Erzählung gegeben. Jemand wie Lycidas berücksichtigt normalerweise Zufälle, und seien sie noch so absurd, in seiner Planung. Ich weigerte mich hartnäckig, ihm diesen Teil seiner Darstellung zu glauben. Etwas konnte daran nicht stimmen.
Zudem war ich dank seiner Gönnerhaftigkeit nun mit drei Kindern geschlagen.
Erhebend!
Mara Mushroom war allem Anschein nach gesund und
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