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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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spricht es aus.
    »Aber wie ist das möglich?«
    »Der Gehilfe des Lichtlords suchte nach einer Möglichkeit, die Unschuld aus Kindern zu gewinnen, und fand sie. Doch benötigte er für diese Prozedur Kinder, die noch unschuldig waren. Sehr junge Kinder. Das Waisenhaus gab ihm die Möglichkeit, seine Forschungen auszuweiten. Er hatte es dort zwar mit Kindern zu tun, die zu viel erlebt hatten im Leben, um als unschuldig zu gelten. Und doch, davon war er wohl überzeugt, mussten sich selbst diese Kinder einen Teil ihrer Unschuld bewahrt haben.«
    »Den wollte er auch noch gewinnen können.«
    Emily hat es erfasst.
    »Also hat er Experimente mit den älteren Kindern durchgeführt, bei dem ihm die Gefährtin des Lichtlords assistiert hat.«
    Aurora wird bleich. »Die Kinder, die mit Madame Snowhitepink gehen mussten und nie zurückgekehrt sind.«
    »Sie haben es erkannt.«
    Mylady Hampstead verzieht angewidert die Schnauze.
    Die Kinder, die vom Angesicht Londons verschwunden sind in all den Jahrhunderten. »Was wird mit ihnen geschehen?« Emily will einfach nicht glauben, dass niemand den Kindern mit den Spiegelscherbenaugen helfen kann.
    Ihr Schicksal liegt nicht in unseren Händen
, piepst die Rättin.
    Ich stehe am Fenster und schaue hinunter auf die Straße, wo wenig los ist.
    »Sie haben die Wahl.« Erneut weise ich Emily darauf hin.
    »Ich will nicht ins Waisenhaus zurück«, sagt sie entschlossen. »Aurora ebenso wenig.«
    »Wir könnten Pflegeeltern für Sie finden.« Ich drehe mich zu ihr um. »Sollten Sie sich irgendwann dazu entscheiden, die Kunst der Alchemie erlernen zu wollen, stehe ich Ihnen als Lehrer gerne zur Verfügung.« Aurora zugewandt füge ich hinzu: »Und Master Micklewhite wird es sich nicht nehmen lassen, über Ihr Schicksal zu wachen.«
    Die beiden Mädchen sehen einander ungläubig an.
    »Das würden Sie tun?«
    Dieses Kind!
    »Warum nicht?«
    Sie sind nun ein Teil der uralten Metropole
, erklärt Mylady Hampstead.
Nie wird jemand Ihnen dieses Wissen nehmen können. Davon einmal abgesehen, ist Miss Emily die Erbin von Manderley Manor.
    Traurig spielt Emily mit dem Mondstein, den sie sich in King´s Moan erwählt und die ganze Zeit über um den Hals getragen hatte.
    »Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird«, sage ich ihr. »Gewiss ist aber, dass Sie beide hierher gehören. Nach London. In die uralte Metropole.« Nachdrücklich füge ich nach einem Moment des Schweigens hinzu, in dem nur das Knacken des berstenden Feuerholzes zu hören ist: »Sie wissen ja, was man sagt.«
    Emily weiß es. »Es gibt keine Zufälle.«
    Lächelnd betrachtet sie den Mondstein in ihrer Hand.
    Sie hat es erfasst.
    Drei Tage später suche ich einen alten Raritätenladen nahe der Charing Cross Road auf. Emily begleitet mich. Sie trägt die blaue Jacke, die ich für sie vor nur wenigen Tagen erstanden habe, und eine Wollmütze. Noch immer ist es eisig kalt. Noch immer ist die Stadt in einem Wintermärchen gefangen. Die Augenklappe ist verschwunden. An ihrer statt glänzt ein neues Auge im Gesicht des Mädchens.
    »Der Mondstein«, habe ich ihr erklärt, »nimmt die Angst vor der Zukunft. Er besitzt die Kraft der Jugend und schenkt Lebensfreude.«
    Von Zeit zu Zeit berührt sie das neue Auge, ganz zaghaft. »Es fühlt sich lebendig an«, sagt sie dann mit einem Lächeln.
    Überhaupt lächelt sie jetzt öfter.
    Emily Laing hat ihre Entscheidung getroffen.
    Und als wir das Antiquariat nach all den Besorgungen mit einem Stapel Bücher unter den Armen verlassen und sich das sternenklare Firmament in den beiden Augen des Mädchens bricht, bemerke ich erst, dass es zu schneien aufgehört hat.

Buch II
    Zwischenspiel:
    Whitechapel anno 1888
    Es begann, schenkt man den Geschichtsschreibern Glauben, im Eastend.
    Whitechapel war schon seit geraumer Zeit nicht mehr derjenige Stadtteil, in dem einst wohlhabende Kaufleute gelebt hatten. Es war nun eine heruntergekommene Gegend, in der es Fremden nicht schwer fiel, unerkannt zu bleiben. Verelendet und überbevölkert brüteten die düsteren Hinterhöfe und die von Abfällen wimmelnden Gassen Gewalt und Verschlagenheit aus. Diejenigen ohne Geld schliefen in den Treppenhäusern oder der Gosse. Ganze Familien hausten in winzigen Räumen mit nur einem Bett und kaputten, mit Lumpen zugestopften Fenstern. Es roch nach Moder, Urin, verrottendem Obst, Gemüse und Fisch. Frauen, die vor ihrer Zeit gealtert waren, boten an jeder Ecke ihre Körper feil.
    Ein Fuhrunternehmer, so berichtete

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