Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
durch die Gassen einer fremden Stadt schlenderte, den Geruch des Meeres in der Nase und feinkörnigen Sand auf der Haut.
Alexandria.
Kairo.
Karnak.
Urtümliche Metropolen.
Verschüttet und vergessen im Meer der Zeit.
Jetzt waren wir hier. Am Fuße der Anubis-Skulptur, einst gehauen aus massivem, weißem Granit, den man am oberen Nil so oft findet, kunstvoll geformt zur langen Schakalschnauze mit geschlitzten Augen und der Kopfbedeckung eines Priesters zwischen den spitzen Ohren.
Neben mir stand Maurice Micklewhite in seinem weißen Anzug, dahinter die beiden Mädchen. Emily, die sich vor den Hymenopteras hatte retten können. Die errettet worden war von einem jungen Forscher namens Dorian Steerforth, der mir noch nicht vorgestellt worden war. Außer dem klangvollen Namen konnten nur des Mädchens verträumte Augen Zeugnis davon ablegen, welchen Eindruck der Kerl auf meine Schutzbefohlene gemacht hatte.
Immerhin hatte er sie gerettet und wieder hinauf ans Licht geführt. Schon allein dafür war ich ihm Dank schuldig. Wer immer er auch war und was immer ihn für Absichten leiteten.
»Er ist ein Forscher«, hatte mir Emily schwärmend berichtet.
»Tja!«
Ein Forscher also.
Der die Region erforschte.
Der mit wild gewordenen Hymenopteras umzugehen wusste.
»Klingt eher nach einem Helden, so wie Sie ihn beschreiben.«
Emilys Blick sagte mir, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.
Ein Held also.
»Wittgenstein, wie schön, Sie zu sehen! Sie haben es geschafft!« Mit diesen Worten war mir das Kind förmlich um den Hals gefallen, als wir uns wiedergesehen hatten. Das war vor wenigen Stunden gewesen, im Wohnzimmer der Quilps, die mich unvergleichlich kühler empfangen hatten. »Ich habe versucht, Kontakt zu Ihnen aufzubauen, aber ich habe Sie einfach nicht finden können.«
»Das war auch nicht möglich.«
Fragend runzelte sie die Stirn.
»Ich war tot«, erklärte ich.
»Wie meinen Sie das?«
»Wie ich es sage.«
»Sie meinen, Sie waren tot? Gestorben?«
»Genau das sagte ich.«
»Tot?«
»Miss Emily, ich hoffe doch nicht, dass ich an Ausdrucksfähigkeit verloren habe. Ja, tot. Gestorben. Für kurze Zeit.« Zumindest hatte ich mich in einem Zustand befunden, der dem Tod am nächsten kommt. Der Körper erschlafft, und das Blut rinnt nicht weiter durch die Adern, der Atem stockt, die Haut wird fahl und kalt. Der Herzschlag verstummt. Jegliches Bewusstsein schwindet. »Antiaris toxicaria«, sagte ich nur, »vermischt mit dem Elixier aus den Blüten der Acokanthera.«
»Dann war es ein Trick.«
»Ich bin Alchemist. Was haben Sie erwartet?«
Als die Dunkelheit mich umfangen hatte, blieben mir nicht mehr viele Handlungsmöglichkeiten. Die Hymenopteras hatten mich umschwärmt. Eine immer größere Anzahl der Insektenartigen hatte den Tunnel gefüllt, in dem ich unsicher an der Wand stand. Des Augenlichts beraubt, fühlte ich nurmehr den kalten Stein und die an meiner Kleidung zerrenden Hymenopterabeine. Aus Berichten fahrender Tunnelstreicher kannte ich die Spezies, wenngleich ich ihr persönlich noch nie begegnet war. Bereits im Laufen hatte ich nach dem Beutel mit den giftigen Substanzen getastet, weil diese, das hatte ich befürchtet, die einzige Möglichkeit waren, dieser Situation heil zu entkommen.
Das Antiarispulver schmeckte bitter und löste heftige Krämpfe aus. Keine angenehme Art zu sterben. Und doch war der Tod mein einziger Ausweg. Nachdem ich meine Lippen mit dem Pulver in Berührung gebracht hatte, sank mein Körper zu Boden. Ich gab mich den Krämpfen hin und spürte, wie mir Insektenbeine über das Gesicht krochen. Dann lösten sich die Empfindungen vom Körper. Ich spürte nichts mehr. Da waren bloß noch die Geräusche in der Dunkelheit. Das surrende Geräusch flirrender Flügel. Das nagende Schaben vieler Beine.
Das Leben entschwand dem Körper.
Die Glieder erschlafften.
Das Bewusstsein endete.
Nicht einmal erinnern konnte ich mich später an jene Augenblicke.
Daran, dass die Hymenopteras von mir abließen und in die Dunkelheit des Amphitheaters zurückkehrten, wo sie den reglos daliegenden Golem bewachten. Irgendwann kehrte das Leben in den Körper zurück. Ich riss die Augen auf und sah doch nur Nachtschwärze. Ein kühler Wind streifte mein Gesicht. Angestrengt lauschte ich in den Tunnel hinein. Nichts war zu vernehmen. Kein Geräusch. Nur Stille. Die Hymenopteras waren demnach verschwunden.
Emily ebenso.
Mühsam erhob ich mich.
Alle Glieder schmerzten, was ziemlich normal
Weitere Kostenlose Bücher