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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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betrachtete das Gemälde an der Wand. Ein William Blake in düsteren Farben. Daneben einige Photographien, welche die Wüste zeigten, vermutlich Erinnerungen an die gemeinsamen Ausgrabungen im Tal der Könige mit Howard Carter.
    Maurice Micklewhite hockte hinter dem massigen Schreibtisch in einem ledernen Sessel und musterte mich abwartend.
    »Können Sie vielleicht etwas deutlicher werden?«, herrschte Emily mich auf einmal an.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Woher, in aller Welt, soll ich wissen, was eine Trickster ist?«
    Konnte das möglich sein?
    »Sie weiß es nicht«, stellte ich fest.
    »Sie weiß es nicht.« Maurice wirkte ebenso überrascht.
    »Genau, ich weiß es nicht«, äffte Emily uns nach. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Deswegen wäre es nett, wenn es mir jemand erklären könnte.« Ungeduldig spielten ihre Finger an den Knöpfen der Jacke herum. »Andauernd wird mir etwas verschwiegen. Ich bin es leid, dass mich jeder für dumm verkauft.«
    »Möchten Sie einen Tee?«, fragte Maurice höflich.
    Eine Frage, die Emily aus der Fassung brachte.
    »Sie möchte«, antwortete ich an ihrer statt.
    »Mortimer?«
    Lehnte ich jemals eine gute Tasse Tee ab? War es möglich, dass sich Maurice an eine derartige Situation erinnern konnte?
    »War Oscar Wilde ein wenig seltsam?«, stellte ich die Gegenfrage.
    Maurice grinste breit, und Augenblicke später kam seine Sekretärin mit einem Tablett ins Zimmer gewankt und servierte die Getränke.
    »Zitronentee«, erklärte Maurice, während er einschenkte.
    Dann nahm er wieder hinter dem Schreibtisch Platz.
    Ich beschloss derweil Emily aufzuklären.
    »Trickster sind immer Wechselbälger, aber nicht alle Wechselbälger sind Trickster. Es kommt auf die Fähigkeiten der Eltern an. Ist das Erbgut desjenigen Elternteils mit den magischen Eigenschaften dominant, so verfügt das Neugeborene meist über Trickstereigenschaften.«
    »Die da wären?«
    »Manche Trickster sind Traumfänger.«
    »Das heißt, sie können sich der Träume fremder Menschen bemächtigen, sie beeinflussen und auch stehlen«, schaltete sich Maurice ein.
    »Wahrscheinlicher und häufiger ist es jedoch, dass Trickster das zweite Gesicht besitzen«, fuhr ich fort. »Sie können Dinge sehen. Geschehnisse aus alter Zeit, Ereignisse aus der Zukunft, Dinge, die im Hier und Jetzt geschehen, jedoch an anderen Orten. Sie können durch die Augen fremder Menschen sehen. Sie können sich ein fremdes Bewusstsein zu Eigen machen.«
    »Und Sie?«, hakte Emily nach.
    »Fragen Sie nicht.«
    »Tu ich doch.«
    »Einige Trickster«, gab ich mich geschlagen, »können allein kraft ihrer Gedanken Gegenstände bewegen.«
    »Sie können das?«
    Ich nickte nur.
    Emilys Auge funkelte neugierig. »Zeigen Sie es mir?«
    Ich hatte es geahnt.
    Maurice grinste, als ich den Teelöffel vor ihren Augen schweben ließ.
    »Bitte sehr«, sagte ich mürrisch und ließ den Löffel in die Tasse gleiten.
    »Ich bin beeindruckt«, antwortete Emily.
    »Trickster gibt es viele an der Zahl«, warf Maurice ein. »Manche können die Gestalt von Tieren annehmen, die ihrem Wesen nahe sind. Rabe, Schlange, Pudel, Spinne. Andere wiederum können kraft ihrer Gedanken Feuer oder Wind entfachen. Manche sind gut, andere böse.«
    »Und ich«, hakte Emily nach, »kann auch etwas von diesen Dingen tun?«
    Maurice und ich nickten gleichzeitig.
    »Lord Brewster glaubt, dass Sie das zweite Gesicht haben.«
    »Sie beide machen sich doch über mich lustig.«
    Maurice und ich wechselten Blicke. »Das würden wir niemals tun«, entgegnete Maurice.
    »Warum habe ich es dann noch nie gespürt?«, wollte Emily wissen.
    »Sie sind noch jung«, gab ich zur Antwort. »Und ich bin mir sicher, dass Sie es bereits gespürt haben.« Im Glasauge des Mädchens spiegelten sich die Teetassen, die vor uns auf dem kleinen runden Tisch standen. »Versuchen Sie sich zu erinnern. Hatten Sie jemals Vorahnungen, ein schlechtes Gefühl bei einer Sache, das sich später bewahrheitete?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Weil Sie noch jung sind«, kommentierte Maurice.
    »Sie haben mir von den Träumen erzählt, die Sie manchmal heimsuchen.«
    Emily erinnerte sich.
    »Kann es sein, dass es die Träume sind, die andere Kinder in Ihrer Nähe geträumt haben?«
    Was sollte sie dazu sagen.
    »So habe ich es nie gesehen.«
    »Wenn Sie das zweite Gesicht haben, dann können Sie Dinge sehen, die anderen Menschen im Kopf herumschwirren. Sie spüren das, was andere empfinden, und können die Vorahnungen

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