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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Mädchens lag in diesen wenigen Worten.
    Eine Melodie, die dem Mädchen irgendwoher bekannt vorkam, schwang in der Stimme des Lichtlords mit. Etwas, das Emily mit den alten Hollywoodfilmen in Verbindung brachte, die sie manchmal spätnachmittags im Waisenhaus hatten anschauen dürfen.
    Alle Anwesenden lauschten dieser Melodie.
    Let’s face the music and dance.
    »Wir sind doch nur Menschen«, flüsterte Aurora ängstlich.
    Doch pflanzte die Melodie nicht Hoffnung in unser aller Herzen?
    Irgendwie?

Kapitel 12
Das Haus der schweigenden Bücher
    Sie musste sich vorwärts tasten, mühsam, doch die Geräusche, die sie umgaben, waren ihr bestens bekannt. Das unterdrückte Flüstern der Besucher, die an den vielen Tischen im Schein der Leselampen saßen, das Rascheln von Papier, wenn so viele Finger zwischen den alten Seiten blätterten, das Trippeln der Absätze auf dem Boden, der sanft säuselnde Wind, der hoch oben um die Kuppel wehte. Da waren die Gerüche, die Emily so vertraut waren. Die trockene Heizungsluft, in der die Staubkörnchen tanzten, die von emsigen Lesern zwischen längst vergessenen Buchseiten aufgewirbelt worden waren. Fußbodenpolitur, die die Putzfrauen benutzten. Der warme Duft der Regale, altes Holz, das manchmal ächzte, aber oftmals einfach nur schwieg. Zuletzt die Berührungen. Auroras Hand, die sie mit festem Griff in den Lesesaal der Nationalbibliothek geführt hatte. Die Leselampe, die sie sich hatte ertasten müssen. Der Stuhl, auf dem sie Platz genommen hatte. Alle diese Dinge kannte sie. Kannte sie aus ihrer Erinnerung. Aus den Tagen, in denen sie hatte sehen können. Jetzt musste sie sich mühsam aus all diesen Erinnerungen ein Bild zusammenbasteln. Natürlich kannte sie den Ort, an dem sie sich befand. Die Bibliothek mit ihren unzähligen Regalreihen und der kunstvollen, hohen Kuppel, die all die literarischen Werke überspannte und durch deren längliche Fenster das matte Licht des Tages die Staubkörnchen in der Luft sichtbar machte.
    »Wie fühlst du dich?« Auroras Stimme. Besorgt. Unsicher.
    Wir hatten die Krypta von St. Paul’s verlassen.
    Endlich.
    Master Lycidas hatte uns über die Vergangenheit aufgeklärt, und jetzt galt es, die Pläne des Ophar Nyx zu vereiteln.
    »Warum hast du das nur getan?«, hatte Aurora ihre Freundin in der U-Bahn gefragt.
    Emily hatte so hilflos ausgesehen. Sie trug wieder die dunkle Brille, die ich ihr in der uralten Metropole erstanden hatte, damit die Passanten ihre toten Augen nicht so anstarrten. Wenngleich sie die Blicke der anderen Menschen auch nicht sehen konnte, so spürte sie deren neugierige Faszination für das Abnorme, das das kleine Mädchen mit den roten Haaren und dem traurigen Gesicht verkörperte, sehr wohl.
    »Du bist meine Freundin«, hatte Emily geantwortet.
    Sich unsicher in dem schaukelnden Zug festgehalten.
    Gelächelt.
    »Ich werde dich niemals alleine lassen«, hatte Aurora ihr daraufhin versprochen.
    Und Emily hatte sich an ihrer beider Versprechen erinnert. Daran, dass sie auf ewig Freundinnen bleiben würden. Dann hatte sie an das denken müssen, was der Lichtlord uns allen offen gelegt hatte, bevor wir St. Paul’s verlassen hatten. Dass Lycidas und Lord Brewster uns alle zu Spielbällen in ihrem Ränkespiel degradiert hatten.
    Nachdem die beiden Mädchen etwas Schlaf nachgeholt hatten, waren sie nun an dem Ort, der sie so oft beherbergt hatte während der vergangenen Monate. Im Britischen Museum. In der Nationalbibliothek. Im großen Lesesaal, in dessen Labyrinth sie sich schon so oft verloren hatten.
    Und Emily war nun wirklich verloren.
    Im wahrsten Sinne des Wortes.
    Verloren in der Nacht, die sich wie ein Schleier um ihr Auge gelegt hatte.
    »Kannst du mir meinen Rucksack reichen?«
    Aurora kam der Bitte ihrer Freundin nach.
    Emily öffnete den alten Rucksack und kramte darin herum, bis sie das Buch gefunden hatte.
    Im Herzen der See.
    Aurora klang erstaunt, als sie sagte: »Du hast es aufgehoben?«
    Es war eine Frage, keine Feststellung.
    Emily nickte.
    Hätte gerne Auroras Gesicht gesehen.
    Dann reichte sie es ihrer Freundin, die es irgendwo in der Dunkelheit entgegennahm. Finger berührten Emilys Hand. Dann ließ sie das Buch los, und es lag wieder in den Händen seiner ursprünglichen Besitzerin.
    »Es ist mir früher niemals aufgefallen«, gestand Emily, »dass du in diesem Buch liest.«
    »Früher?«
    »Bevor du …«
    Aurora schluckte.
    »Es ist interessant«, sagte sie. Sich rechtfertigend.
    Emily hörte, wie

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