Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
kleinen Stoffbeutel befand, hing an einem Lederband um ihren Hals. Die drei anderen Steine befanden sich in der Jackentasche. Aber nicht in der, in der Dinsdale lag.
Bernstein, Rosenquarz und Turmalin.
Es gibt keine Zufälle.
Vielleicht war es dann auch kein Zufall, dass sie die Steine erhalten hatte.
Bernstein, erinnerte sie sich, symbolisiert das Sonnenlicht und die Lebenskraft. Genau das, was ein verletztes Irrlicht brauchte. Könnte sie Dinsdale helfen, indem sie ihn mit dem Stein in Berührung brachte? Sie wusste, dass das Irrlicht in jeder freien Minute, die sie gerastet hatten, Energie aufgenommen hatte. Mal hatte es die kurzen Pausen in Lampen verbracht oder war in offene Kamine geflogen, um sich an der Glut zu wärmen.
»Was hast du vor?«
Aurora, die neben ihr stand, war leichenblass vor Erschöpfung.
»Ich habe eine Idee.«
Mit den gefesselten Händen war es nicht einfach, sich selbst in die Tasche zu greifen und den richtigen Stein hervorzuziehen. Dummerweise befand sich Dinsdale genau in der falschen Jackentasche.
»War das die Ratte aus dem Waisenhaus?«
Emily nickte.
Sie dachte an die Massen von Ratten, die sich über den Bahnsteig ergossen hatten, als Larry der Lykanthrop ihr nachgestellt hatte.
»Lord Brewster ist sein Name.«
Natürlich war sie sich nicht sicher, aber wie viele Ratten würden sie schon ansprechen?
Vielleicht war es Lord Brewster gelungen, ein Heer von Nagern zu mobilisieren.
»Was hat er dir gesagt?«
»Dass wir bereit sein sollen. In der Finchley Road.«
»Was heißt das?«
»Keine Ahnung!«
Emilys Finger tasteten nach den Steinen, die lose in der Jackentasche lagen. Sie versuchte, sie anhand der Form zu identifizieren und den richtigen herauszuziehen. Gar nicht so einfach war das.
Dann fiel ihr Blick auf Aurora, die mittlerweile wieder auf der Bank saß.
Emily gab ihrer Freundin einen Stoß mit der Schulter.
Aurora fielen bereits die Augen vor Erschöpfung zu. Sie war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Emily ahnte, dass sie nicht auf die Hilfe ihrer Freundin zählen konnte. Halb erfroren war das Mädchen, und Emily hoffte, ihr rechtzeitig helfen zu können.
Wie aber sollte sie allein an den Bernstein kommen?
Sie versuchte es erneut, als ein schauriges Quieken die Stille zerriss.
»Mistvieh!«
Mr. Wolf war das gewesen.
Eine Ratte war ihm in die Falle gegangen.
Er hielt das Tier in seinen Klauen und biss ihr genüsslich den Kopf ab. Die Halswirbel des Tieres brachen. Knackten. Winzige Sehnen hingen Mr. Wolf zwischen den Reißzähnen, und Blut troff ihm von den Lippen. Der Leichnam der Ratte in seiner Hand zitterte noch, als er erneut hineinbiss.
Emily schwindelte.
Glaubte sich übergeben zu müssen.
Der Bahnsteig begann sich zu drehen, und sie kippte zur Seite. Als sie wieder zu Bewusstsein kam, stand sie auf den Beinen. Mr. Fox’ Klauenfinger bohrten sich in ihre Schulter. »Jung schmecken sie am besten«, kommentierte er. Als er sich davon überzeugt hatte, dass Emily aus eigenen Kräften würde stehen können, ließ er sie los. »Saftige kleine Biester, nicht wahr, Mr. Wolf?«
Der Angesprochene trat auf die beiden zu und hielt etwas in seinen Händen.
»Die hier gehören Ihnen«, fauchte er.
Die Steine, die Mr. Wolf da in seinen Klauenhänden hielt, mussten Emily aus der Tasche gefallen sein, als sie gestürzt war.
So viel zu ihrem Plan, Dinsdale zu heilen.
Doch dann geschah etwas, das Emily vollends verblüffte.
Mr. Wolf gab ihr die Steine zurück.
Einfach so.
Mit den Worten: »Wir sind schließlich keine Diebe.«
Die drei Steine kullerten in die Jackentasche zurück. Genauer gesagt kullerten die Steine sogar in diejenige Jackentasche, in der sich der kleine Körper des erloschenen Irrlichts befand.
Zufälle gibt es eben nicht.
Alles erfährt seine Bestimmung, und Emily erinnerte sich dieser Worte in eben jenem Moment. Sie fasste neuen Mut, als der Zug mit einem Rauschen in den Bahnhof von Croxley einfuhr. Guter Hoffnung war sie, als Mr. Wolf und Mr. Fox Aurora und sie selbst in den nächsten Wagen zerrten.
Nein, Zufälle gibt es keine.
Das war in diesem Fall keineswegs anders gewesen.
Der Wagen konnte eine angestaubte, modrige Eleganz sein Eigen nennen. Einstmals kunstvolle, doch nunmehr gammelig aussehende Orientteppiche bedeckten den Boden, und die vergoldeten Lampen an den holzvertäfelten Wänden leuchteten kaum mehr. Das Licht flackerte unruhig, als sich der Zug in Bewegung setzte.
Finchley Road, hatte die Ratte
Weitere Kostenlose Bücher